Bayernbashing

Erding, wie das schon klingt! Wie „Grounding“ auf deutsch. Dort haben sich Mitte Juni 2023 die Unzufriedenen getroffen, in dem Fall die Heizskeptiker, allen voran der Aiwanger Hubert von den Freien Wählern, die er als „Normalbürger“ bezeichnet, die mit dem „gesunden Menschenverstand“: Jo mei, weißblau ist die Haselnuss. Ihm zur Seite mit der Monika Gruber eine gestandene Kabarettistin, bekannt aus der Werbung „Der Kaas könnt‘ von mir sein!“ Ja, der „Kaas“ ist von ihr.

Wenn ich mich in meinem Berufsleben je fatal geirrt habe, dann damit: Kabarettisten sind kategorisch links zu verorten. Das hat sich geändert, z. T. leider pandemiebeschleunigt. Die Bayern aber haben eh schon immer anders getickt, und bayrische KollegInnen, sofern persönlich bekannt, waren – Ausnahmen siehe unten – mir nie besonders nah. Die Gruberin habe ich nie kennengelernt, aber schon die Bayernwaldkäsewerbung hat meinen Argwohn befeuert. Dieser berufspassauer Lackl erschien mir stets abgehoben, zu glatt, die Frau F. war weniger divenhaft als erwartet, aber eben schon, und ihr Sohn, Vorname entfallen und ich bin zu faul, ihn zu googeln, der mir später mal bei einem Kabarett-Wettbewerb unterkam, ein ausgemachter Flegel. Vielleicht hat sich das geändert. Der niederbayrische Osmane wusste in der Kennenlernrunde vor der Show begeistert von der Anschaffung eines neuen BMWs zu berichten, was bei mir schlagartig die Jalousien runterlässt, da bin ich nicht frei von Ressentiments (BMW gegenüber). Der humorfreie Plattling aus Ingolstadt, der bekiffte Talkschwadroneur aus Straubing, der Strauß-Wie­dergänger und und und: Ganze Herrscharen von Humorbeschäftigten. Mal eben den Spot auf die liebenswerten KollegInnen: Der Paetz ist ein guter, der großartige Grantler Giebel, der Zimmerschied, die Kinseherin (obwohl sie sich durchaus einmal von der einen oder anderen Figur verabschieden könnte), die Schwarzmann Martina und die Well-Brothers und natürlich auf der pole-position der Polt, nicht zuletzt, weil er einmal in Heidelberg in der Garderobe saß und mit dem musikalischen Gast unserer Show, der Sängerin Rigmor Gustavsson, perfekt schwedisch parlierte. (Die Franken lassen wir mal außen vor.)

Es war wohl eher ein Gefühl, dass ich vielen von denen nichts geglaubt habe: Von wegen „wir ziehen alle an einem Strang“. Eher dachte ich: „Ihr seids ihr!“ Umgekehrt, bei Auftritten in Bayern, hatte ich selten den Eindruck, dass ich dort hingehöre, sondern fehl am Platze bin. Womöglich weil ich, obwohl ich gerne Bier trinke, aber nicht unmäßig, mich eher als Weinmensch verstehe. Ein Gastwirt und Veranstalter im Schwäbischen meinte einmal, wenn der Ding, ein Comedian, bei ihm aufträte, würden die Leute eher Bier bestellen, bei mir: Wein. Was ihn natürlich freute, weil da die Umsatzspannen höher sind. Und mich natürlich ebenso. Vielleicht hat Bier eine dämpfende oder dampfende Wirkung für Dimpfl aller Art. Das bedeutendste bayri­sche Branchenereignis ist entsprechend die Starkbierprobe auf dem Nockherberg, eine Art Ober­ammergau des Kabaretts mit überschwappenden Maßkrügen.

Viele KollegInnen aus Bayern ticken einfach anders, derzeit vereint in ihrer Abneigung gegen alle „Koirawiapostel“ (bayr. für Grüne – bitte selbst gendern). Viele von ihnen sind ausgestattet mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, bei dem nicht immer ersichtlich ist, worauf es sich gründet. Das ganze Land ist irgendwie … fremd, exotisch zuweilen. Ein wenig abgehoben, ein wenig abgeschottet. Das Katholische allein kann es nicht sein, ich bin ja selbst so erzogen worden – bis ich mich dem entzogen habe. Aber eben nie ganz. Dabei gab es doch hier einmal das anarchische Element – Karl Valentin, liebe Leute – schon vergessen?

Es ist sicher kein Zufall, dass innerhalb der Landesgrenzen ein Ort mit dem Namen „Herrsching“ liegt. Das klingt nach bayrischer Regierungsform. Im bajuwarischen Kabarett wird vieles auf einer folkloristischen Ebene verhandelt, wie auf dem Nockherberg, auf dieser Plattform begegnen sich Kabarett, Comedy und Politik, die Grenzen sind eh schwammig, dort sitzen oder saßen im Publikum der Seehofer, der „Ondi“, die Straußtochter, der „Rumsauer“, der Ding, die Haderthauerin, Schützenkönig Dobrindt, alle finden sich ein, das Dialektlexikon liefert Vokabeln wie „Blitzgneissa, Krampfhenna, Doagaff, Drudschn, Schwam­mal­kopf“ (Zuordnung bitte selbst vornehmen). Und wehe dem, der auf der Bühne nicht erwähnt wird ­– der darf seine Karriere als geknickt betrachten (bitte wieder selbst gendern), denn das Fernsehen ist „adabei“, und „überhaupts“ hat der Bayrische Rundfunk (TV) getreu dem Motto „Wenn du deine Feinde nicht besiegen kannst, umarme sie“ seit seinem Ausstieg aus dem Scheibenwischer im Januar 1982 eine erstaunliche Wandlung vollzogen: Kabarett und Comedy werden gepflegt, u. a. im Vereinsheim oder beim Ringlstetter, und umgekehrt dient der BR vielen KünstlerInnen als eine Art Austragshäusl, wo sie hübsch gepampert werden.

Bei Ottis Schlachthof saß einmal der Waigel Theo, eigentlich einer der integreren CSUler – habe ich jedenfalls gedacht, aber „a Hund isser scho.“ (Ich saß da mit am Tisch und habe kurzfristig Aufsehen erregt, als ich einen Rotwein orderte – damals wollte ich provozieren.) Jedenfalls wurde der Waigel befragt wegen der Zwick-Af­färe, weil dem Steuerflüchtling Zwick Steuerschulden in Höhe von 70 Millionen Mark gegen eine einmalige Zahlung von acht Millionen erlassen worden waren. Im Zentrum des Geschehens: der ehemalige Finanzminister Gerold Tandler, der sich vom Zwick 700.000 Mark für sein Hotel in Altötting geliehen hatte. Ein echter Bayernstadl halt. Jedenfalls sagte der Waigel, er könne zum Sachverhalt nichts beitragen, es handele sich um ein schwebendes Verfahren, und sowieso würde er die meisten Beteiligten nicht näher kennen. Kaum war die Sendung rum, stand ein mitteljunger Bursche im Kamelhaarmantel auf, eilte auf den Waigel zu, innige Umarmung. Ich wollte natürlich wissen, wer das war, und da schau her: Der Zwick-Sohn. Jo mei, honni soit qui mal y pense.

Eigentlich sind nicht einmal die bayrischen KollegInnen das Thema, es ist nämlich so: Schengen in Ehren, aber wenn ich hinter Tauberbischofsheim in Richtung Würz­burg reise oder bei Ulm über die Donau rutsche, hätte ich nichts dagegen, an eine Grenze zu gelangen. An die bayrische, mit Schlagbaum, falls auf der Straße unterwegs. Ich würde sogar eine Gebühr für ein Visum entrichten, problemlos. Kommt schon, Bajuwaren: Schotten, Flamen und Katalanen wollen es, Slowenen und Slowaken haben es getan, letztere sogar ohne Blutvergießen. Ihr wollt es doch auch!

Wenn ihr unabhängig wärt, dürften wir auf eine Menge verzichten, auf das Jahrgejammer über die Bierpreise auf dem Oktoberfest und die Heiligsprechung der Brezn, beispielsweise. Der ständige Kampf gegen das innere Schweinefleisch würde sich insgesamt positiv auf unsere Gesundheitsstatistiken auswirken: Der Gesamtverzehr von Schweinernem würde rapide sinken, ebenso das Alkoholvolumen. Abzapft is! Obazt euch selbst!

Erwünscht ist eine totale Rautenflaute! Belastend eure nachgewiesene Gamsbärtigkeit und Bierdimpflität in Tateinheit, das permanent Lodenständige, dazu die ganzen Schützenvereine, die Wadlnklatscher und Jodler, die Fingerhakler und Goaßl­schnalzer, dazu dieser grauenvolle jesusmässige Almauftrieb in Oberammergau. Ohne die Bayern würde der Gesamtanteil der Katholiken in Deutschland schrumpfen und somit endlich deren Einfluss. Luja! Benedikt dürfte nicht mehr unter „deutscher Papst“ firmieren.

Ohne Bayern würde unsere Jahresdurchschnittstemperatur steigen, denn die sibirischen Tiefstwerte vom Funtensee blieben in Zukunft außen vor. Ohne die Bayern wäre die Bundesliga spannend, Uli Hoeness wurscht und die Bayernliga würde eine Aufwertung erfahren. Ohne Krachlederne wäre eine Ruhe im Land. Womit wir bei der sog. Kultur wären: Tschüss, Dilettantenstadl. Wäre Bayern Ausland, könnten wir Florian Silbereisen (Tiefenbach) einfach die Arbeitserlaubnis verweigern. Und Stefan Mross (Traunstein). Ausschnittsweise Christine Neu­bauer (München). Schuh­beck würde nicht die Kriminalitätsstatistik versauen, Leitmayr und Batic gehen eh bald in den Ruhestand, nur um „München Mord“ wär’s schad, aber wie wäre es mit „Minden Mord“? Für Bayreuth, die Passionsspiele der Masochisten, müssten wir uns nicht länger schämen. Von den dämlichen Bergen mit ihren sich selbst überschätzenden Kraxlern blieben wir weitgehend verschont. Etwaige Problembären könnten wir im Thüringer Wald oder im Erzgebirge unterbringen.

BMW- und Audifahrer könnten wir außen vorlassen – Einreiseverbot! (Auch wenn das für diesen niederbayerischen Kollegen mit Migrationsvordergrund Konsequenzen haben würde – kann man leider nichts machen). Möglichst zügig muss der Importstopp für all diese Fahrzeuge kommen, was sich bei uns positiv auf die Sicherheit im Straßenverkehr auswirken würde. Gut, die Städte und Gemeinden würden weniger Geld mit Geschwindigkeitsübertretungen kassieren, aber in den sauren Apfel müsste man halt beißen. Ohne Bayernlobby dürfte das Tempolimit bundesweit leichter durchzusetzen sein. Bayern und Verkehr – ein schwieriges Thema. Erinnern wir uns nur an den Wiesheu Otto: 1983 fährt er einen Fiat 500 zusammen, ein Toter, ein Verletzter, er selbst nicht mal in einer bayrischen Karosse, sondern in einer gediegenen schwäbischen, allerdings nicht ganz nüchtern: Es sei nicht so, dass man in der Politik „monatelang trocken umeinandlaufen kann“, lautete sein Einlassung vor Gericht. Ziemlich genau zehn Jahre später ernennt ihn Franz-Josef Strauß zum Minister – u.a. für das Ressort Verkehr.

Natürlich müsste Bayern uns eine ordentliche Ablösesumme zahlen, wenn wir sie aus der Bundesrepublik entlassen. Für den Anfang genügen die 243 Millionen Euro, die der Bund als Schadenersatz für dem Scheuer Ondi seine Maut-Flausen berappen muss. Von der bayrischen Gerichtsbarkeit wie in den Fällen Mollath, Genditzki oder Ecclestone sollten wir in Zukunft keinesfalls weiter behelligt werden. Was das Allerschönste wäre nach der bayrischen Unabhängigkeit: Keine Gestalten mehr wie Do­brindt oder Ramsauer im deutschen Fernsehen, nie wieder irgendwelche Watschngesichter in Niedertrachten mit ihren Amigos und Adabeis, Bussi hier, Bussi dort. Reimtechnisch gibt der Söder leider gar nichts her, das ist alles zu naheliegend. Gegen den war der Guttenberg noch originell, und Leute wie Tandler oder Strauß brachten einen gewissen Unterhaltungswert ein. Unvergessen Stoibers U-Bahn-Rede. Von absurden Ideen wie Länderausgleich, Maut oder Betreuungsgeld müssen wir in Zukunft unbedingt verschont bleiben. Es ist doch nicht zu fassen, wie viel Übergewicht knapp 150.000 CSUler in der Bundespolitik haben. Das Wort Übergewicht, sehe ich gerade, ist so unpassend nicht.

Der korrekte Name lautet „Freistaat“ Bayern – wie wär’s, wenn ihr das endlich in die Tat umsetzen würdet? Sei so frei, du Land der Bayern – wir würden es feiern, im Himmel wie auf Erding. Okay, eines noch: Die Redaktion der Süddeutschen müsste natürlich nach Hamburg übersiedeln. Ihr kriegt dafür die „Welt“. Gern geschehen.

 

© Thomas C. Breuer Rottweil 10. Juli 2023

P.S. Die Fotos – soweit ist es mit Bayern noch nicht gekommen. Södercity ist ein Einkaufszentrum in Helsingborg.