Mardi Gras Galveston
Mardi Gras Galveston
Inoffiziell ist das längst eine beschlossene Sache, spätestens seit dem Dinner am Vorabend des Rosenmontags mit Denice, Julie Ann, Don, Sharon und Beatrice: Eine Städtepartnerschaft zwischen Galveston und Rottweil. Die Städte passen einfach zu gut zusammen, als dass man darüber hinwegsehen könnte, vor allem wegen Mardi Gras bzw. wegen der Fasnet.
Die Fotos und Artikel in den Zeitung ähneln einander: „It’s gonna be crazy til’ Tuesday“, titelt die Daily News, ähnliches liest man im Schwabo. Tausende kostümierter Menschen. Hier Fasnetsküchle, dort „King Cakes“. Marschkapellen, das Aushändigen von Gegenständen, die in Galveston von den Wagen geworfen werden, sog. „Beads“, Perlenketten, oftmals in den Mardi Gras-Farben lila-gold-grün. Kinder wie Erwachsene reißen die Arme hoch, um die Ketten aufzufangen, die sie sich sogleich um den Hals hängen, säkularisierte Rosenkränze „made in China“, an denen man zu schleppen hat. Die Kettenreaktionen sind fantastisch, die Menge ist enthusiastisch. Über drei Millionen Exemplare segeln in den kommenden Tagen durch die Lüfte, zehn Dutzend Ketten kosten etwa fünfzig Dollar. Sogar Fezträger gibt es in auch, die keck auf winzigen Motorrädern und Miniaturautos herumbrausen und die Luft für einen guten Zweck verpesten: Die Loge der „Shriner“ sammelt Gelder für Krankenhäuser und unterhält in Galveston eine Kinderklinik für Verbrennungsopfer.
Gut, es gibt Unterschiede, so kennt die schwäbisch-alemannische Fasnet keine Umzugswagen, die in Galveston „Floats“ heißen. Viele davon werden gesponsert von den Nachfahren jener Familien, die im vergangenen Jahrhundert hier ihr Geld verdient haben mit Glücksspiel, Prostitution und Schnapsbrennerei. Man darf nicht vergessen, Galveston ist eine Hafenstadt, doppelt so groß wie Rottweil, und der Mardi Gras ist nach New Orleans und Mobile der drittgrößte der USA. Und, darauf sind die Einwohner besonders stolz, eine Insel, die nur durch eine Brücke mit dem Festland verbunden ist. Vielleicht kann sich die schwäbisch-alemannische Fasnet deshalb keine Fahrzeuge leisten, weil bestimmte Branchen in Rottweil eher fehlen. Sowieso: In Rottweil kämen die „Floats“ nicht einmal durchs Schwarze Tor.
Rottweil kennt drei Sprünge plus den Umzug am Sonntag. In Galveston verteilen sich die Festivitäten auf zwei Wochenenden, mit unzähligen Paraden, wobei die am Abend des zweiten Samstags die längste ist. Etwa 350.000 Besucher fallen insgesamt über die Stadt her. Vor der Parade am ersten Samstag auf dem Seawall, der die Stadt vor den Fluten des Golfs von Mexico schützen soll, sind wir zu einer kleinen Fahrradparade eingeladen. Gar nicht so leicht, ein unbekanntes Rad zu steuern und gleichzeitig Beads zu werfen, aber irgendwann haben wir es raus. Die Ketten, die wir losgeworden sind, sammeln wir später bei der offiziellen Parade wieder ein, Recycling einmal anders. Wir wären nicht in Amerika, wenn bei unserer Parade keine Preise vergeben würden: Schönstes Kostüm, bestgeschmücktes Fahrrad, und, siehe da, beim Preis für die weiteste Anreise sind wir konkurrenzlos.
„Seht zu, dass ihr beisammenbleibt“, ruft Don vom festlich geschmückten Balkon seines Hauses den Teilnehmern des Fahrradumzugs zu. „Das sage ich jedes Mal, und noch nie hat’s funktioniert.“ Bei den großen Paraden ist das kaum anders. Freitagabend: Ein Wagen hält kurzfristig den ganzen Lindwurm auf, weil der Fahrer dringend mal verschwinden muss. Wir erleben die Parade der Feuerwehren, Kranken- und Polizeiwagen, inklusive Pferdestaffel aus dem nahen Houston. Die Parade der Airstreams – jene silbernen Wohnwagen, die aussehen wie Zigarren. Die Parade der Tiere, bei der das Lama in diesem Jahr leider fehlt. Zwei Umzüge für Kinder. Die großen Abendparaden. Die eher familiäre Abschiedsparade am „Fat Tuesday“, was ins Französische übersetzt nichts anderes heißt als „Mardi Gras“. Für die Marschkapellen der Highschools und Cheerleaderinnen ein anstrengendes Pensum, und am zweiten Sonntagnachmittag sieht man ihnen die Erschöpfung an: Oftmals bestückt mit schweren Instrumenten, meistens zu dünn oder zu dick angezogen. Auch am Golf kennt man niedrige Temperaturen, und das Wetter wechselt oft rabiat. Nicht selten dürfen sie zwei Runden durch die Stadt drehen. Zum Glück verfügt jede Formation über einen „Besenwagen“, der erschöpfte Musiker und Tänzer einsammelt.
Die „Floats“ treffen anders als die Umzugswagen im rheinischen Karneval keine politischen Aussagen, sondern transportieren Mottos wie „Dancing Queen“, „Caribbean“, „Pocahontas“ oder irgendwas mit Piraten, die früher an der Küste ihr Unwesen getrieben haben. Für einen nicht geringen Betrag kann man seine Teilnahme auf einem Wagen kaufen. Einer ist George Mitchell gewidmet, einem lokalen Unternehmer und Gönner, der den Mardi Gras Mitte der 1980er Jahre überhaupt erst wieder angekurbelt hat, nach einer Pause von über vierzig Jahren. Seitdem hat sich die Geschichte entwickelt, mit einer Prise mexikanischem Totenkult, einem Spritzer texanischer Feierwut und einem gehöriger Schuss New Orleans inkl. Voodoo.
Downtown ist das mittlerweile streng organisiert, seit die Handelskammer das Zepter übernommen hat, es kostet Eintritt, um in den „Käfig“, also ins Zentrum zu gelangen, wo es mitunter heiß hergeht. Der Alkohol fließt in Strömen, sie müssen ihn an Mardi Gras nicht einmal in Papiertüten verstecken, und das in einem Staat, wo man normalerweise nicht einmal geöffnete Flaschen im Wageninnern transportieren darf. Viele Texaner sind zudem leicht entflammbar, aber die Polizei ist rigoros und Alkoholkontrollen bei auswärtigen Gästen sind einfach: Es gibt ja nur eine Zufahrt zur Insel.
Angefangen hat das alles bereits 1867, mit Maskenbällen rund um eine Aufführung von Shakespeares „Henry IV“, die ersten Karnevalsgesellschaften wurden gegründet, die hier „Krewes“ heißen, wie in New Orleans, und auch das Motto hat man sich von da ausgeborgt: „Laissez les bon temps rouler“, wobei man französischsprachige Texaner eher mit der Lupe suchen muss: „Let The Good Times Roll!“ Um 1850 waren fünf Prozent aller Texaner deutscher Herkunft, vielen von ihnen diente Galveston als erste Anlaufstation. Im zweiten Weltkrieg tummelten sich deutsche U-Boote vor der Küste, weshalb es am Seawall noch einen Bunker gibt. Unsere Freunde vor Ort tragen uns zum Glück nichts nach.
Galveston wurde 1900 durch einen verheerenden Sturm vollständig zerstört und ist auch in der Neuzeit nicht von Verwüstungen verschont geblieben: Hurrikan „Ike“ im Jahre 2008 hat viele der Eichen, die der Stadt Schatten spendeten, vernichtet, und dem Frost von 2021 fielen unzählige Palmen zum Opfer. Dazu die Pandemie – nach Corona ist die Stimmung gelöst, es gibt im Stadtzentrum sogar eine Corona-Bühne, die aber eher dem mexikanischen Biersponsor geschuldet ist. Es fließt wieder Geld in die Kassen, und dies in einer Jahreszeit, die sonst eher still ist.
Gemeinsam radeln wir den Seawall entlang. Ja, es gibt Fahrräder in Texas, sogar Radspuren, in Austin ist sogar die Polizei damit unterwegs, aber machen wir uns nichts vor: Wir radeln vorbei an hochgerüsteten Pickup-Trucks mit obszön großen Boxen, aufgeblähten Wohnmobilen, monströsen Grillstationen, riesigen Getränkekühlern oder gleich ganzen Kühlschränken, rödelnden Generatoren, Texasflaggen, rüden Aufklebern gegen Joe Biden, ausladenden Hüten und Overalls in Tarnkleidung. Texas ist ein wilder Staat. In Galveston streunen nachts sogar Kojoten durch die Straßen.
Galveston und Rottweil, diese Allianz drängt sich geradezu auf, die Frage ist nur, ob auch nur ein einziger Narr seinen angestammten Platz verlassen würde, um im fernen Texas die schwäbisch-alemannische Fasnet zu repräsentieren, und umgekehrt, und selbstverständlich betrifft das auch Närrinnen. Trotzdem: Der Boden ist bereitet, jetzt sind die Autoritäten gefordert, und selbstverständlich wären wir bereit, mit einem entsprechenden Budget wieder in den „Lone Star State“ zu reisen, um mit Denice, Julie Ann, Sharon und Don weitere Details auszuhandeln. Den Bürgermeister kennen sie nämlich persönlich. Und sowieso: Die Stadt kann süchtig machen.
© Thomas C. Breuer Rottweil, 20.02.2023 Galveston, Texasa