Salzburg, Facts

 

Dienstag, 21. März 2024, Ankunft Salzburg 16:07, nur drei Minuten zu spät. „Schon am Bahnhof fahrt er dir in′s G’sicht / Der ganze Horror dieser Stadt. Du steigst ausse aus′n Zug /Und bist sofort in Lebensgefahr.“ Ich drehe mich um, frage mich kurz, ob ich versehentlich auf dem Bahnhofsvorplatz von Bu­curești Nord gelandet bin, aber nein, das ist tatsächlich mein Zielort, und ganz so schlimm wie von Ludwig Hirsch in seinem Lied „Grüß Gott, Salzburg“ geschildert, ist es nicht, das Lied hat 32 Jahre auf dem Buckel. Die Lebensgefahr tendiert gegen Null. Vielleicht noch nicht. Die Stadt erlebt in drei Tagen die Bürgermeisterwahl. Würde man eine Umfrage starten: „Na, was glauben Sie, welche beiden Parteien ihre Kandidaten in die Stichwahl – denn darum handelt es sich – schicken dürfen, in Salzburg, bitte schön?“ Die wenigsten kämen darauf, dass da ein Sozialdemokrat und ein Kommunisten antreten werden.

Grüß Gott also erst einmal, und gleich vorweg: Ich kenne mich aus in Salzburg, ich habe sechs Semester am Mozarteum studiert: Laubbläser als Soloinstrument in Tateinheit. Zudem habe ich lange in Heidelberg gelebt, d.h. in Städten wie diesen wird man auch ein bisschen gelebt. Dieselbe Preisklasse, Festung und Schloss, nur dass die Festung in Salzburg aus Marzipan besteht und das Heidelberger Schloss aus Nougat. Na gut, sind eh alles nur Kulissen, Bühnenbilder, Dauer­inszenierun­gen. Beide Städte verfügen über einen Gaisberg, natürlich ist der Salzburger etwas angeberische 912 Meter höher dank seiner alpinen Verstrickungen. Heidelberg ist Salzburg minus Mozart. Salzburg ist so was von international, dass man versehentlich 2003 eine Städtepartnerschaft mit sich selbst abgeschlossen hat. Heidelberg hat das bereits 1996 geschafft. Wobei Alfred Polgar schon 1922 festgehalten hat, dass „Salzburg, wie wir von Egon Erwin Kischs Großmutter wissen, die Hauptstadt von Salzburg ist.“

Vielen ist die Stadt in erster Linie durch die ZDF-Serie „Die Toten von Salzburg“ bekannt, in der der wunderbare Erwin Steinhauer mitspielt, der 1983 den „Salzburger Stier“ bekommen hat, als zweiter österreichischer Preisträger überhaupt. Der Titel der Serie bezieht sich freilich nicht auf die Einwohnerschaft der Residenzstadt – wo­bei, wenn ich’s mir recht überlege … Aber dass ich mich bedroht gefühlt hätte … eher nicht. Aber eben noch nicht. Ein kommunistischer Bürgermeister für geschätzte 150.000 Einwohner auf einer Fläche von 65,65 km2? Ein Alpinkommie für die hochwohlgeborenen Festspiele und die ganzen schönen Barockbaracken? Für die Peripherie mit ihren wohltönende Namen: Gnigl. Gneis, Morzg und Mülln? Im nahen Pongau gibt es einen Ort namens Pfarrwerfen – ist das schon der aufziehende Stalinismus? Das Umland von Salzburg ist stark landwirtschaftlich geprägt. Der Fußballverein RB Salzburg hat sogar ein Farmteam, den FC Liefering – was eher klingt wie das, was Paketzusteller beruflich machen.

Dem Red Bulletin, der Hauspostille jenes „Energiegetränks“, das womöglich nicht zufällig aus Salzburg stammt, entnehme ich den Begriff „Fact Finding Mission“. Drunter machen sie es nicht, wo es doch nur um simple Erkundungstouren geht. Ein Artikel im Magazin preist nebenbei Monika Gruber. Wem die nichts sagt: Bitte unbedingt dabei bewenden lassen. Red Bull – was soll man darüber noch erzählen? Retortenclub, geschenkt. Dass sie bei der Teambildung dem lokalen Traditionsverein Austria die Farben geklaut haben, den Spielort, fast die Identität – das ist unverzeihlich. Red Bull „verleiht Flüüügel“ – verleiht, wohlgemerkt, zu verschenken haben die nichts. Im oben erwähnten Red Bulletin wird das Prinzip „höher, weiter, schneller“ propagiert, also auch „lauter, breitbeiniger, rücksichtsloser“ – Sport­arten für Besserverdiener mit ausgeprägtem Ellenbogen, die Formel Eins gibt das Tempo vor, Speedboats, Rennpferde, das Leben als durchgehende Geschwindigkeitsübertretung. Das Proletarische findet man vielleicht bei der Austria, selbst wenn der Verein früher einen fragwürdigen Sponsor im Namen führte: Casino. Zum Erfinder Dieter Mateschitz fällt mir ein englisches Zitat des schwerreichen Malcolm Forbes ein: „He who has the most toys, still dies.“ Mateschitz verließ diese Welt nicht kraxelnd oder gleitfliegend, sondern mit einem banalen, heimtückischen Krebs, der kaum als Werbung für sein Produkt dienen kann, über den von ihm erfunden Energydrink jubeln seit Jahren die Internisten. Wer weiß: Womöglich hat er ihn nie konsumiert.

Fact One: Die sehr alte Stadt ist – wie die meisten – nicht gebaut für den Verkehr von heute. Die versenkbaren Poller, die die Autos eigentlich aus der Altstadt heraushalten sollen, gleiten im Dauerbetrieb auf und ab. Amerikanische Soldaten wollten kurz nach Ende des 2. Weltkriegs ins älteste Freudenhaus Österreichs, ins „Mai­son de Plaisir“ – mit dem Panzer, um damit in der engen Steingasse steckenzubleiben. (Es wird nicht immer ein Weg draus …) Positiver Neben-EfFact der Verkehrsprobleme: Fast so viele Radfahrer wie früher in Peking. Ist das schon ein Vorgeschmack auf den Kommunismus? Biegsam muss man sein und wendig beim Ausweichen, selbst wenn die Radler wahre Schlängelvirtuosen sind. Die zahllosen kleiner Kläffer machen den Parcours noch unsicherer, wenn ihre – meist – Frauchen zwischen Arien und Solarien pendeln.

Fact Two: Ganz arg viele Leute. Die Getreidegasse ist voller Kreuzfahrttouristen, was überrascht angesichts des Fehlens geeigneter Gewässer. Schon nach wenigen Minuten wird klar: Mozart war eine Hausgeburt. Und umgezogen ist er nicht eben selten. Nach zwei Tagen wünscht man sich eine Tafel: Dieses Gebäude wurde von Amadeus nie behelligt, wurde es doch erst nach 1791 erbaut. Hier bittschön für Mozartbesaitete der volle Name: Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart. Den Theophilus hat Mozart 14jährig bei einer Italienreise in Amadeo eingetauscht. Also weder Wolfgang Armadillo Mozart noch Motz-Art. Wer sich hier die Kugel geben will, wählt selbstverständlich die Mozartkugel. Wer zum Mozart-Dinner-Konzert möchte, kann im Wolferl-Waschsalon vorher seine Garderobe auf Vordermann oder Vorderfrau bringen. OMG und: sorry.

Natürlich ist alles geschrieben und gesagt worden, nicht zuletzt von Mozart selbst, der sich bekanntermaßen despektierlich über seine Heimatstadt geäußert hat, an der ihm „sehr wenig gelegen war“. Sämtliche Wortverdrehungen sind von allen möglichen Leuten durchdekliniert worden, von mozärtlich bis hin zu mozartkugelsicheren Westen. „Ich glaub /Ich zwickert denen glatt einmal die Mozartkugeln ab“, sinnierte Hirsch in seinem eingangs erwähnten Lied. Johann Hölzel, der mit Mozart zumindest den ersten Vornamen teilte, lässt Salzburg in seinem Welthit leer ausgehen: „Rock Me Amadeus“ bezieht sich auf dessen Wiener Zeit, da waltet die Arroganz des Hauptstädters Falco. Nicht, dass es keine anderen Musiker gegeben hätte: Den Minnesänger Neidhart von Reuental. Trotzdem findet sich nirgends ein Reuentaleum. Zu Ehren des Sängers und Komponisten Oskar von hätte man die Festung Wolkenstein nennen können, was so unpassend nicht gewesen wäre.

Manche haben ohnehin nur eine vage Vorstellung davon, wo sie sich befinden. Einige tragen T-Shirts oder Taschen mit Aufdruck: „There Are No Kangaroos In Austria.“, das Gesicht ein Grinsesmiley. Die Schweiz und Österreich teilen zumindest das Schicksal, häufig verwechselt zu werden. Die Schweiz häufig mit Schweden, schlimmstenfalls Swasiland, Austria natürlich mit Australien. Am Flughafen Salzburg soll es angeblich einen eigenen Schalter geben für jene Passagiere, denen diese Verwechslung widerfahren ist. Im 2023er Jahr ging ein österreichisches Ehepaar viral, das nach Melbourne gewollt hatte und dort auch wohlbehalten landete – leider in Melbourne, Montana. Etwas kühler dort, kaum Koalas, aber wenn man nicht merkt, dass man sich im falschen Land befindet – und wie soll man das angesichts der Innenstädte, die überall gleich aussehen – ist es halb so schlimm.

Leicht ginge es ohne Touristenmassen. „Jens Riedcke hat sich aufgemacht, Salzburg ohne Menschen zu fotografieren. Das Ergebnis sind Bilder, in denen die Stadt den Atem anhält.“ So spricht der Klappentext eines Bildbandes namens „Silent Space Salzburg“, der auf die Bewohner der Stadt anscheinend einen derart verstörenden Eindruck gemacht hat, dass das Buch für fünf Euro verramscht wird. Gut, das Werk ist zehn Jahre alt, aber anscheinend sind immer noch genügend Exemplare vorrätig. Salz­burg ohne Kundschaft – ah geh! In jedem Fall lädt der Bildband zu frühmorgendlichen Sommerspaziergängen ein, wenn die Fiaker noch nicht unterwegs sind.

Salzburg on a Fact Finding Mission. Schauplatz des Filmklassikers „The Sound of Music“ über die Trapp-Familie, für die Verfilmung mit Julie Andrews und Christopher Plummer wurden eigens die Schlösser Mirabell und Hellbrunn errichtet. Beim Gang durch die Stadt entwickelt sich das vage Gefühl, dass man jeden Moment nach der Eintrittskarte gefragt werden könnte. Die meisten Baudenkmäler sind dennoch gratis, das Geld wird einem höflicher aus der Tasche gezogen. Viele, viele, wirklich sehr viele Tauben, oftmals in dumpfer Eintracht neben den Rabenfiguren, die sie eigentlich abschrecken sollen. Gleich zu Anfang des ersten Bandes der Salzburgkrimis von Manfred Baumann taucht ein Taubenbekämpfer auf, nicht sonderlich erfolgreich, wie es scheint. Tauben fühlen sich einfach zu katholischen Tempeln hingezogen, siehe Köln. Zur Staatsanwaltschaft gibt es einen barrierefreien Zugang über die Schanzlgasse, aber nicht für unbedingt jeden wieder einen barrierefreien Abgang. Der Dom nimmt drei Euro für die Erhaltung, den er von mir nicht erhält. Ob den die Kommunisten erhalten werden, wenn sie erst einmal an der Macht sind? In Salzburg findet man mehr Kirchen als Starbucksfilialen, also umgekehrt zu Manhattan, wo eine Filiale in Sichtweite der nächsten steht. Mir gibt die Kirche nichts, ich überlege stattdessen kurz, mich bei Dr. med. univ. Thi Tam Ngyuen-Tschur­tschenthaler am Mirabellplatz beganzheiteln zu lassen. Einen poetischeren Namen habe ich nirgends entdecken können.

Ich habe nicht zufällig eine weitgehend konzertfreie Woche gewählt. Zu Festspielzeiten sind die männlichen Besucher als Oberkellner kostümiert, Tarnung ist die beste Verkleidung, Frackschöße rauschen durch die Stadt. Allerdings hören diese Herren die Frage „Bedienen Sie auch draußen?“ nicht so gerne, und mit der Erwähnung Beethovens schafft man sich ebenso wenig Freunde hier.

Fact Three: Das Zuckrige. Alles rigoros durchgenockerlt. Die fertigen Dinger, die eigentlich nur aus Ei, Vanillezucker und Mehl bestehen, werden, wenn sie aus dem Ofen kommen, mit Staubzucker bestreut und müssen umgehend serviert werden, da sie sonst zusammenfallen. Da lassen wir einfach mal unkommentiert stehen. Eh: Nichts, was ein Thermomix nicht schaffen würde. Wer abnehmen will, sollte besser nach Dänemark reisen. Orientierungsloses Stochern im Sachernebel, überall lauern Strudel und Glukoselawinen. Obendrein ist die Stadt eine alte Kaffeemetropole, schon der Hausberg heißt Kapuziner. (Ein Aufstieg dorthin nennt sich „finstere Stiege“.) Helene Fischer, Meisterin des Saccharin-Entertainments, hat sich dort droben eine Villa gekauft. Obendrein gibt’s eine „Zuckerlwerkstatt“, als Franchise eines Wiener Unternehmens, in dem nicht nur dem Affen Zucker gegeben wird.

Aber ach, dieses Puppenstuberlhafte, Aufgesetzte, dieses zuckersüß-mozartkuge­lige, obwohl es doch SALZburg heißt: diese Stadt ist für Diabetiker vollkommen ungeeignet. Allerorts regnet es Manner vom Himmel. Der tägliche Mehlverbrauch muss astronomische Höhen erreichen. Da darf man froh sein über Walters Balkan-Grill mit den möglicherweise besten Bosna der Welt, die der Stadt ein wenig Schärfe verleihen. Wer das alles nicht aushält, mag sich damit trösten, dass die Stadt die höchste Brauereidichte Österreichs hat. Stiegl Goldbräu, 12° Stammwürze, und man glaube mir, man schmeckt jedes einzelne davon. Abstinenzlern sei das Café Tomaselli ans Herz gelegt, wo Mozart seine Mandelmilch zu goutieren pflegte.

Fact Four: Das Salzige. Bei den alten Austriaken hieß der Ort noch Salzman­du. Das Salz in der Suppe, cum grano salis. Salted Caramell-Eiscreme. Orte, die mit Pfeffer oder Zucker anfangen, finden sich in Österreich keine. Das „Weiße Gold“ diente den Erzbischöfen als Haupt­einnahmequelle. Es wurde mit Stiergespannen aus dem Dürrnberg gezogen. Manche sagen, es waren Ochsen, aber damit lässt sich wenig Staat machen. Heute kommen Peelingtouristinnen in Scharen und lutschen Solebonbons zur Prozedur. Es scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben, dass die großen Tage Kakaniens vorüber sind. So findet man am Waagplatz das K.u.K.-Restaurant, eine Tafel am Eingang preist „Pastrami vom Strauß“ an, verschweigt aber, welcher Strauß hier gemeint ist, wahrscheinlich der Walzerkönig. Und der Kaiser hat 1918 abgedankt. Ist so.

Fact Five: Zeit für ein paar Albernheiten. Die erste Silbe gibt die Geschmacksrichtung vor, aber wenn gerade keine Festspiele sind, schmeckt die Stadt ein wenig fad, also, Achtung Mega-Wortspiel: Salzkammergut gebrauchen. Höhepunkt der Spiele: Das Sado-Maso-Spektakel „Ledermann“. Oder war das „Jedermann … und die Brandstifter?“ „Lederstrumpf?“ Egal. Der größte Star über Jahrhunderte hinweg war Herbert Karajan, seine NSDAP-Mitglieds­num­mer vom 8. April 1933 lautet 1.607525. Bis heute sind in Salzburg dreizehn Straßen nach Männern benannt, die mit dem NS-Regime eng verbunden waren, unter ihnen Ferdinand Porsche, und gleich 46 Straßen nach Mitgliedern der NSDAP. Aber was soll ich sagen als Piefke? Zur Erinnerung: Die Gemeinde Babenhausen in der Nähe von Hanau hat bitte schön wann Adolf Hitler seine Ehrenbürgerwürde aberkannt? 2021.

Wo wir gerade dabei sind: Die Festung Hohensalzburg bitte nicht verwechseln mit dem Obersalzberg. Wobei man das berüchtigte „Eagle’s Nest“ easy von Salzburg aus erreichen kann, lächerliche 25 Kilometer über die B305: Dort gibt es „Hitler’s Home Daily“ inklusive „Historical Tour“, wo man Ansichtskarten von Eva Braun erstehen kann – ob der Nachname eigentlich Zufall war? Nach Braunau benötigt man auch nur eine Stunde.

Fact Six: Das andere Salzburg, jenseits der Promis und Adabeis, Dirndln und Lodenjankern. 1934 gab es den Februaraufstand der Sozialdemokraten gegen den austrofaschistischen Ständerat. In diesem Zusammenhang durchsuchte die Polizei das Haus von Stefan Zweig auf dem Kapuzinerberg mit der fadenscheinigen Begründung, er habe dort Waffen gelagert. Zwei Tage später bestieg er den Zug und emigrierte nach London. Zweig hatte Salzburg als „Doppelwelt“ beschrieben und konnte hier vierzehn Jahre sozusagen ein Doppelleben führen. Überhaupt die Schriftsteller: Anlässlich des Literaturfestes hat man Zitate bekannter Autoren auf Schaufensterfronten gepinnt, beileibe nicht nur bei Buchhandlungen, vielleicht nicht gerade Thomas Bernhards „Meine Heimatstadt ist eine Todeskrankheit“, aber das von Zweig allemal, dazu H.C. Artmann, Karl-Markus Gauß, Ilse Aichinger und und und.

Das brennende Thema überhaupt: Bezahlbares Wohnen. Das Hochpreisige hat sich in fast allen Bereiche durchgesetzt. Ich kann heilfroh sein, dass ich nicht im benachbarten, wesentlich teureren Wyndham gebucht habe: Da ist eine Großbaustelle vor der Haustür. Endlich mehr Wohnraum? Nein, hier entsteht das neue Dienstleistungszentrum des Landes Salzburg. Gut, Wohnraum findet man gleich in der Nähe des Bahnhofs, in der Elisabethvorstadt – also wenn der nicht bezahlbar ist, dann weiß ich auch nicht. Ein lebhaftes Quartier, ich habe gar nicht gewusst, wie viele Sportwettenanbieter es gibt, dazu Barbiere, türkische und arabische Cafés und Lebensmittelgeschäfte, und – direkt vis-à-vis – das Volksheim der Kommunistischen Partei. Dort werden sich wohl am Sonntagabend die Jubelscharen einfinden – aber was werden sie feiern?

Meinem Freund Henning schicke ich das Foto vom Volksheim, er simst postwendend zurück: „Geh da bloß nicht rein! Es gibt Leute, die behaupten, ‚das Sein bestimmt das Bewusstsein!’ Wir Anarchisten wissen es natürlich besser: Das Bewusstsein bestimmt das Sein! Freundschaft!“ War mir das bewusst? Ich weiß es nicht. Wenig später scheine ich meinen Bestimmungsort gefunden zu haben: Den „Fidelen Affen“ in der Priesterhausgasse, eine Lokalität, die man als „urig“ durchgehen lassen kann. Aber: Bei TripAdvisor auf Platz 7, belegt es bei meiner vergleichenden Tafelspitzforschung nur Rang zwei (von zwei), da ist sogar der beim Imlauer besser (Trip Advisor # 22), nicht so zusammengepampt, außerdem gibt’s Stiegl vom Fass, das Trumer Pils im Affen schmeckt fad.

Die Stimmung in der Stadt scheint mir erstaunlich gelassen zu sein angesichts des schweren Schicksals, das die Bewohner am Sonntag ereilen könnte: Hammer und Sichel statt Hummer und Sacher. Eine Stichwahl, das Wort klingt ja schon nach Cäsar und Brutus. Man wüsste schon gerne, was hinter den Kulissen abgeht, wie hat man sich das vorzustellen? Allgemeines Fracksausen? Hektisches Kofferpacken, spontaner Kapitalabfluss? Schon am Sonntagabend nach Verkündung des Wahlergebnisses spielen sich am Mateschitz-Airport herzzerreißende Szenen ab. Schönheitschirurgen warten nervös auf die Abfertigung, einer warnt noch rasch vor einem botoxischen Klima. Angeblich stehen kubanische Beautyspezialisten schon in den Startlöchern. In den Hotels haben sich die Zimmer schlagartig geleert, Stornierungen sonder Zahl treffen ein. Red Bull weicht vorsorglich auf die Ballsportanlage des ESV Freilassing aus. Servus TV  wird abgeschaltet. Beim Azwanger liegen teure Trachten schon seit der ersten Wahl wie Blei in den Regalen, weil viele fürchten: Mit den Roten kommt die Niedertracht. In den Delikatessengeschäften in der Getreidegasse wird tatsächlich nur noch Getreide angeboten, und ein Paar arme Würstl. Rasend schnell sind die Austernbänke am Söllheimer Bach geplündert. Sport und Waffen Dschulnigg organisiert eine verkaufsoffene Sonntagnacht – Rekordumsatz! Noch in der Nacht wird Anna Netrebko rehabilitiert, die Don Kosaken werden engagiert. Es geht das Gerücht, dass Kommunisten der Salzach das Wasser abgedreht haben, damit die Oligarchen nicht mit ihren Jachten davonjetten können. Der Golf- & Countryclub Kleßheim wird zum Minigolfplatz downgegradet. Am Grenzübergang Walserberg kommen die SUVs nur mühsam voran. Am Montagmorgen bilden sich in der Dreifaltigkeitsgasse lange Schlangen vor dem Kgl. Bayr. Konsulat. Usw. und so fort. (Die Grazer haben das schon alles hinter sich.)

Fact Seven: Was die ominöse Fact Finding Mission angeht: Die Fakten finden sich eigentlich alle im Internet. Für so eine Mission muss man nicht unbedingt vor Ort sein, aber helfen tut es schon. Den Duft der Bosna findet man im Netz jedenfalls nicht. Drei Tage vor dem roten Inferno bin ich vorsorglich abgereist. Das Endergebnis kann ich sonntags googeln, kleiner Spoiler: Bei der Stichwahl am 24. März 2024 erreicht Bernhard Auinger (SPÖ) 62,47%, Kay-Michael Dankl (KPÖplus) nur 37,53%, bei einer Wahlbeteiligung von 46,78%. Puh … das ist erstmal gut gegangen für die Hottwollee.

Ein erstes Fazit: Der Zuckerguss ist nur aus Zuckerguss. Noch ein Zuckerl zum Abschluss. Angeblich gab es im 19. Jahrhundert Pläne, die Festung abzureißen und die Steine für die Befriedung der Salzach zu verwenden. Küss die Hand, Hawedere!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Thomas C. Breuer Rottweil 28.03.2024