Scotland 2024 – No werries

 

Scotland – no werries

1  Eigentlich ist Schottland an jemanden wie mich, dessen Verhältnis zum Dudelsack mit „problematisch“ noch wohlwollend umschrieben ist, der sich – nüchtern betrachtet – nicht wirklich etwas aus Whisky macht und dem schon das englische Frühstück schlagartig Sodbrennen verursacht, vergeudet. Seafood, also Meeresfrüchte, taugen einem ungeduldigen Menschen wie mir ebenso wenig: Zuviel Aufwand für zu wenig Ergebnis. Das Essbesteck für Langusten gemahnt an die Requisitenkammer für „Braveheart“.

2  Es wird eine großartige Reise. Beam me up, Scottish!

 

3  Rail: Für Interrailreisende eine Herausforderung: Der Zugang zu den britischen Gleisen kann, wie in Frankreich, nur durch automatische Sperren erfolgen, die das Interrailticket nicht anerkennen. Also muss man einen der Signaljackenträger auf sich aufmerksam machen, die überwiegend zutraulich sind. Nun gut, das späte Bekanntgeben der Gleise ist ein Lehrstückchen in Sachen Machtausübung, eine unnötige Dramatisierung. Kann mir doch niemand erzählen, dass sie die Belegung der Gleise von Tag zu Tag neu vergeben, gerne fünf Minuten vor Abfahrt. Würfeln die oder sind sie einfach nur kleine Sadisten? „Heute schicken wir die Leute mal nach Gleis 18 statt nach Gleis 1, dann werden wir sehen, was passiert.“ Was passiert, ist folgendes: Die Massen bilden Klumpen in der Bahnhofshalle, um sich anschließend durch die Zugänge quetschen. Tolle Idee. Noch was: Für Schottland allein würde sich ein Interrail-Ticket für die erste Klasse nicht wirklich lohnen, da in die meisten Züge von ScotRail gar keine reinpasst. Für die lange Anreise vom Festland aber eben schon – fliegen möchten wir innerhalb Europas nicht mehr, selbst wenn das Flugzeug – Riesensauerei – wesentlich billiger ist.

4  Recht unbarmherzig prügelt sich der LNER Azuma durchs flache England, der Flitzezug hält lediglich in York, Darlington, Newcastle und Berwick-upon-Tweed. Etwas über vier Stunden braucht er von London King’s Cross nach Edinburgh Waverley. Das Interieur leicht angeranzt, aber diese britische Art Freundlichkeit macht alles wett. Verhungern lassen sie einen nicht und schon gar nicht verdursten: Sage und schreibe dreimal schieben sie den Trolley mit den alkoholischen Getränken vorbei, vielleicht macht das den Unterschied zum Fliegen aus. Denn der ist sonst so groß nicht, außer dass man die meiste Zeit Bodenberührung hat. LNER steht übrigens für London North Eastern Railway, Azuma war ein Panzerschiff der Kaiserlich Japanischen Marine und wird als historischer Name für Ostjapan verwendet. Was das mit dem Zug zu tun hat? Der Hersteller heißt Hitachi.

5  Die Ankunft im Edinburgher Hotel gegen halb 12 in der Nacht: Wir kommen mit dem jungen polnischen Rezeptionisten ins Gespräch, er händigt uns die Zimmerkarten aus, wenig später klopft es an der Tür: „I have a better room for you!“, sagt Jarosław und führt uns in ein viel größeres, ruhigeres Zimmer. Wir haben ihm erzählt, dass wir mit dem Zug angereist sind, vielleicht hat ihn das begeistert, vielleicht hat er Mitleid mit uns. Ein feiner Kerl, besser kann man eine Reise kaum beginnen. Die Zimmer sonst auf unserer Reise: Mitunter spartanisch und tartanisch eingerichtet, aber überwiegend gut, Wasserkocher und Kekse gehören zur Grundausstattung. Steckdosen nicht.

6  Der Dudelsack ist das einzige Instrument, das man vom Weltall aus hören kann. In Edinburgh gilt das Prinzip der rotierenden „Doodlesucker“, alle halbe Stunde postieren sie sich woanders, der Sound ist immer der gleiche. Was die Optik anbelangt, findet meine Frau, dass die Burschen in ihren Schottenröcken ordentlich was hermachen. Jemanden wie mich, der schon kurze Hosen als Zumutung empfindet, killt der Kilt-Kult.

7  Klischeeforschung: Aufkommen an Scotchterriern: Null. Aufkommen an Union Jacks: Auf einem repräsentativen Gebäude (mutmaßlich Stadtverwaltung) drei Fahnen. Welche fehlt? Richtig, die britische. (Die dritte ist die französische, weil sich dort das Konsulat befindet). Irgendwo das Georgskreuz der Engländer gesichtet? Very funny.

„Discover Edinburghs Hidden History“ ­– das ist urkomisch. In Österreich gab es mal eine Talkshow, in der Menschen ihre größten Geheimnisse preisgaben – im Fernsehen. Die „Closes“ – kleine (angeblich versteckte) Gässchen und Treppen – sind typisch für die schottische Hauptstadt. Einen Glen Close gibt es nicht, merkwürdig, wo doch sonst so viel mit Glen anfängt: Glenfiddich, Glenmorangie, Glencoe. Was nicht mit Glen beginnt, weicht auf Aber- (deen, dour …) oder Inver- (gordon, cassley) aus. Ein Inverbergman wird man vergeblich suchen, sorry.

9  Der Johnny Walker Flagship Store erweckt nicht den Eindruck, als würden sie dort Whisky verkaufen, er sieht eher so aus, als hätte Prada sich aufs Destillieren verlegt. Ein anderer Whisky, der Lagavulin, riecht wie früher beim Zahnarzt, bevor sie einem den Backenzahn gezogen haben. Meine Frau weiß sich mit Gin and Tonic zu behelfen. Im Englischen ist das „and“ wichtig, andernfalls verstehen sie einen nicht. Ein alter Kumpel von mir, Robin Laing, den ich 1989 kennengelernt habe, als wir für den WDR beim Fringe Festival Konzerte und Comedyshows aufgezeichnet haben, hat sich mittlerweile zu dem Whisky-Barden entwickelt. Allerdings trinken wir beim Spanier bei unserem Wiedersehen Rotwein (seine geheime Leidenschaft, wie er sagt), es ist ja auch erst nachmittags. Ein feiner Mann, der viel über die Stadt erzählen kann, seine Frau Ursula nicht minder, wir verleben erhellende und lustige Stunden, es ist eine Freude nach all den Jahren. Allerdings geht ein tiefer Graben durch die Familie: Er will Schottland unabhängig, sie plädiert für einen Verbleib im Königreich. Nur beim anderen wichtigen Thema wissen sie sich einig mit Jürgen Klopp, der schon 2018 erkannt hat: „Brexit ergibt keinen Sinn!“ Mehr über ihn, also Robin, über seine Projekte und seine Termine, er kommt nämlich ab und an nach Europa: www.robinlaing.com

10  Vorausschickend: Ich liebe schottische Musik, schon in den 80ern angefangen bei Danny Wilson aus Aberdeen, den Pearlfishers, Deacon Blue und Del Amitri aus Glasgow. Von dort stammt auch meine derzeitige Lieblingsinterpretin Eddi Reader, die für mich über allen schwebt, im wahrsten Sinne, eignet ihrer Musik doch etwas Leichtes, Flirrendes. Die Glaswegians machen mit ihren Musikern jedenfalls Boden wett. Mrs. Readers Konzert in „Embra“ verpassen wir leider um einen Tag, dang! Auch die näch­ste Generation lässt aufhorchen mit neuen Interpretationen traditioneller Musik, die beiden Ionas (Fyfe  aus Aberdeenshire und Lane aus Glasgow), Karine Polwart (Edinburgh), Roseanne Reid aus Dundee und Kim Carnie aus Glasgow. Mit dem WDR haben wir 1989 schottische Nationalheilige wie Dick Gaughan, Hamish Imlach und die Battlefield Band beim Fringe Festival aufgezeichnet, das Genre ist mir folglich nicht fremd. Nur beim Dudelsack hört für mich der Spaß auf. Dass dessen Klang die Engländer nicht von vorneherein in die Flucht geschlagen hat: Erstaunlich. In Glasgow soll es ein Museum der Sackpfeifen geben, die ich eigentlich im Palace of Westminster verortet hatte.

11  Das Monument, das die Schotten ihrem Nationaldichter Sir Walter Scott im East Princess Street Garden errichtet haben: Eine spätgotische Rakete, 61,11 Meter hoch, also gigantisch. Wie hoch müsste dann erst ein vergleichbares Denkmal in Stratford-upon-Avon ausfallen? Auf jeden Fall kleiner, denn wir stehen gerade vor dem zweitgrößten Dichtermonument der Welt, nach dem von José-Martí in Havanna. Ein anderer Poet, Prof. John Wilson, ein paar Meter westlich vom Scott-Denk­mal, muss hingegen in eine Platane starren. Streng genommen hat sie sich schon um seinen Kopf geästelt. Wer war zuerst da?

12  Wir sind noch außerhalb der Saison, die Stadt ist gestopft voll. Vor dem Zugang zu „Arthur’s Seat“ eine Tafel: „Wait to be seated.“

13  Man kann sich dieses Eindrucks schwer erwehren: Soziale Anerkennung erfahren viele männliche Schotten durch ihre Trinkfestigkeit, wobei es sich bei den Damen ähnlich verhält. Samstagnacht auf der George Street, eine von mehreren Amüsiermeilen, nicht so prollig wie die parallele Rose Street, eher upper class, leicht bekleidete Lassies unter dem Motto: „Keinesfalls frieren!“ Unterernährung scheint auch kein Thema zu sein. Junggesellinnenabschiede sind überall in Europa die Pest, hier heißen sie „Hen-Parties“, manche Teilnehmerinnen haben sich Monsterpenisse umgeschnallt, und das Gegacker erfüllt die Nacht. Meist amüsieren sich Frauen und Männer in getrennten Gruppen. Wahrscheinlich möchten erstere den Abend nicht mit polternden Holzköpfen verbringen, und umgekehrt wohl ebenso wenig). Holzköpfe? Ja, oft benzingetränkte, Petrolheads: Am anderen Ende der George Street, Höhe Waverley Station, stehen hintereinander mehrere Ferraris und Lamborghinis. Der vorderste hat keine Nummernschilder, bei dem daneben werden sie gerade abgeschraubt. Man möchte kein Polizist sein in dieser Stadt.

14  Wieso halten sie nach dem Brexit immer am „Continental“ Breakfast fest? Ist das überhaupt erlaubt? Noch perverser ist in Schottland nur das „English Breakfast“. Das beste Frühstück überhaupt gab’s nebenbei in der „Deli Gasta“ in Harra­pool auf der Isle of Skye.

15  Der Bahnhof Glasgow Central: Hallo, location scouts, falls irgendein Filmfritze glaubt, ein Remake von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sei eine gute Idee, solltet ihr die Unterführung Argyle Street als Drehort in Betracht ziehen.

16  „Teckets please!“ In den Zügen Großbritanniens darf man die Haltestellenansagen – oft sind es nicht wenige – dreimal hintereinander hören, bevor der Zug abfährt. „This is Conon Bridge. This train is for Inverness. The next call is Muir if Ord.” Das ist wirklich leicht zu verstehen, wie früher im Englisch-TV-Kurs bei Walter and Connie. Ein feiner Gegensatz zu manchen schottischen Dialekten, allen voran: Glaswegian. Die Lautsprecher sind geschwätzig, Anfälle von Zuglogorrhoe, bei jedem Halt werden die folgenden Stationen angesagt, was in manchen Regionen an einen Sketch von Loriot erinnert. Außerdem wird wiederholt darauf hingewiesen, dass man den „Gap minden“ solle zwischen Bahnsteig und Zug, beim Aussteigen seine persönlichen Sachen mitnehmen (kein Wort über die unpersönlichen – z.B. Müll) und besondere Vorkommnisse melden. Die Züge, wenig schöne Waggons ohne Anfang und Ende, können Seekrankheit verursachen. Schlimmer ist nur die U-Bahn in Glasgow, die zwar nach Kinderkarussell aussieht, sich tatsächlich aber als ratterndes Platzangstseminar erweist. Sie eiert dermaßen, dass mein Frühstück schon rauskommen will, um zu sehen, was da los ist.

17  Ich bin durch die vielen Händetrockner, denen etwas von der Vehemenz von Düsenjets eignet, so konditioniert, dass ich auf der Museumstoilette die Hände unter einen Papierspender strecke. Ich weiß nicht, wo ich das aufgeschnappt habe: Die Universität St. Andrews scheint für ausländische Studierende einen Einführungskurs „Wie man eine Klospülung erfolgreich betätigt“ anzubieten. Ein Wort zu den Wasserkochern im Hotelzimmer: Erst mal einen Blindversuch starten, schon klar: Da wird ja nicht nur Wasser drin gekocht. Wenn man sie auffüllen will, hat man Mühe, sie unter den Wasserhahn zu bugsieren. Auf der Homepage des Scottish Tourism Board gibt es ein hilfreiches Video.

18  Städte wie Glasgow oder Aberdeen gehören zu einem ausgedehnteren Trip einfach dazu, um sich ein umfassendes Bild zu machen, sonst würde man ja lediglich durch ein Postkartenleporello reisen. Edinburgh toll zu finden ist eine leichte Übung, und anmutige Ansiedlungen wie Stonehaven und Sterling haben wir gar nicht zu Gesicht bekommen. Vielleicht habe ich zu lange in Heidelberg gewohnt, immerhin ein Vierteljahrhundert, als dass ich dem Charme von Edinburgh oder Salzburg erliegen könnte, wenn man so will, eine „déformation heidelbergelle“. Immerhin bemüht sich Glasgow, einem eher raubauzigen Image gerecht zu werden. Hinter dem Kelvingrove-Mu­seum stehen Mietfahrräder, die man per App nutzen kann. Sie kommen wie ein Schwarm, fünf, sechs junge Burschen, flink steuern sie auf die aufgereihten Fahrräder zu, rütteln an den Halterungen, treten die Ständer weg, zerren Luftpumpen raus, schmeißen die Räder um, treten wie Berserker auf die Speichen ein, bevor wir uns bemerkbar machen und schreien und die Handys zücken. Schnell und routiniert ziehen sie ihre Kapuzen über, stellen die Kragen hoch, trollen sich unter obszönen Gesten, einer blickt mich provozierend an: „Du kannst mir gar nichts, Alter!“ Vielleicht hat unsere Anwesenheit sie davon abgehalten, alle Räder zu klauen, nur eines wird gekidnappt. Binnen einer Minute sind sie im Park verschwunden. Jetzt die Polizei rufen? Viel zu kompliziert. Wahrscheinlich ist das nur eine Lappalie für die Behörden, und außerdem bin ich wie gelähmt. Wie­so fällt mir dann aber der Titel eines alten Bertoluccifilms ein? „Die Tragödie eines lächerlichen Mannes“.

19  In Glasgow verpassen wir Eddi Reader um drei Tage. Dang again.

20  Ob wegen Nessie tatsächlich noch viele Leute nach Schottland kommen? Diese Frage kann aus ermittlungstaktischen Gründen nicht beantwortet werden. Ein lohnenderes Ziel: Die Museen – fantastisch, vor allem vom Preis-Leis­tungsverhält­nis her. Sie verlangen allesamt keinen Eintritt. Das Scottish Museum und die National Gallery in Edinburgh, das Kelvingrove und das Riverside in Glasgow, in dem sich viele Exemplare  meiner 60er-Jahre Matchbox-Sammlung im Maßstab 1:1 präsentieren, das Maritime sowie die Art Gallery in Aberdeen, allesamt: Umwerfend. Großzügig, unaufdringlich, entspannt, informativ und interaktiv. Gegen Ende der Reise ereilt mich in Edinburgh allerdings eine Überdosis Märtyrerporträts.

21  Inverness: Derek empfängt uns an der Rezeption des Red Cliffe Hotels, trägt die schweren Koffer aufs Zimmer, serviert abends das Dinner und fragt am nächsten Morgen: „What can we cook for you this morning?“ – und fährt uns am Abreisetag unentgeltlich zum Flughafen (wo wir ein Auto mieten). Omnipräsent und zugewandt. Derek ist jetzt 55 Jahre alt, kommt aus einer ehrwürdigen Hoteliersfamilie, kann sich aber vorstellen, in einem Jahr alles zu verkaufen und noch einmal etwas ganz anderes zu machen. Daher sage ich zum Abschied: „Falls wir jemals wieder hierherkommen sollten, hoffe ich in Ihrem Interesse, Sie nicht wiederzusehen!“ Im Hotel ein Bord mit Prospekten aus der Region. Eine Broschüre ragt heraus: Ness Traveller. Infos über Inverness? Her damit, ich ziehe sie heraus, der volle Titel lautet: Business Traveller.

22  Führende Geräuschquellen in Schottland: Möwengekreische, Taubengurren, Lamm­geblöke (es ist April), Schafsgemecker und Rollkoffer.

23  Inverness ist ein vorgeschobener urbaner Außenposten, der Grundversorgungs­betrieb für die Highlands und ein vifes Städtchen obendrein. Outdoorläden, die ihren Umsatz mit wasserdichten Artikeln machen, Waschsalons, Bioläden für Rucksacktouristen. Kein Wunder, dass hier sogar eine Mall funktioniert. Der Café Cortado bei Nero (Kette) ist trinkbar. Halbtagesausflug nach Lairg, der eine Schlechtwettertag von zweien. Scot­Rail hat das Zugyoga erfunden: Das Hineinfalten der Gliedmaßen in die Sitze mit Tisch ist die ärgste Bewegungsanforderung der gesamten Reise. Der Zug fährt übrigens weiter nach Wick, von wo die Fähre ins dänische Vaporup startet. Wir passieren irgendwas mit Inver und dürfen in Lairg erleben, dass es keinen Fußweg vom Bahnhof in den Ort gibt, und natürlich auch nicht zurück. Über eine halbe Stunde geht es die Straße entlang. Mit Graupelbegleitung. Nicht schön. Auf dem Rückweg streckt meine Frau eher spaßeshalber den Daumen raus – und ein Wagen hält, mit dem örtlichen Pfarrer drin, der vieles wissen will und uns dafür zum Bahnhof bringt. Trampen mit 71 – das habe ich mir nicht träumen lassen.

24  Wir sind in Mallaig an der Westküste, gegenüber der Isle of Skye. Ich liebe es, mir Filme an den Orten anzuschauen, wo sie gedreht wurden. Im Film „Die Schweizermacher“ war die Straße zu sehen, die  zum Kino führt. Heutzutage hat man den Laptop dabei und genehmigt sich den Film am Drehort auf Youtube. Einer meiner Lieblingsstreifen, „Local Hero“ von Bill Forsyth, wurde u.a. in Mallaig, Arisaig und Morar gefilmt – den schauen wir uns abends so lange an, bis das Internet zusammenkracht.

25  Ein Warnschild: Rote Eichhörnchen auf einer Dreiviertelmeile. Ein paar Tage später, in Ullapool etwas Ähnliches:

26  Möwen können so alt werden wie Jesus Christus. Sie saufen auch Meerwasser, das Salz scheiden sie über die Nasenlöcher aus. Sie sind kräftig genug, um dem Wetter zu trotzen. Vogelbeobachtungen sind schwierig, kaum dass sie sich in die Luft schwingen, wusch!, schon hat sie der Wind davongetragen. Zu ihrer eigenen Verwunderung finden sie sich nicht selten auf den Äußeren Hebriden wieder. Unser Highlight: Ein Distelfinkpärchen, im geschützten Botanischen Garten von Inverness, und zwei Austernfischer mit ihren leuchtend-roten Schnäbeln, das einzig Be­merkenswerte am legendären Eilean Donan Castle. Die sind die drei £ Park­ge­bühren und den Transport von zwei Ferngläsern allemal wert. Dazu vier Millionen Möwen aller Art.

27  Der beliebte Eintopf heißt „Cullen Skink“ und nicht etwa „Chillin‘ Skunk“, eine Art „Clam Chowder“, nur glücklicherweise ohne Clams (Muscheln) ­und somit mein Lieblingsmeeresgericht. Immerhin komme ich mit Haggis klar.

28  Mallaig: Der Jacobites Express a.k.a. Hogwarts Express rollt ein, der von Fort Williams kommend über das berühmte Glenfinnan-Viadukt fährt, das eine herausragende Rolle in den Harry Potter-Filmen spielt. So strömen denn viele Passagiere mit Potter-Devotionalien durch den Ort, Zauberstab und Schal, you name it. Der Zug versorgt das kleine Fischerdorf mit einer Stoßzeit von etwa zwei Stunden, das größte Café direkt am Wasser hat allerdings sonntags geschlossen. Eine clevere Geschäftsidee. Die Möwen begrüßen indes die zusätzliche Möglichkeit für ihre Hinterlassenschaften, auf etwa sieben Waggonlängen. (Bei ihren Ausscheidungsspielen sind sie nicht wählerisch.) In den Siebzigern haben wir mit unserer Trierer Band vor der Porta Nigra Straßenmusik gemacht und dabei stets das Lied „Ye Jacobites“ geschmettert, weil wir damit, vor Pathos bebend, die Aufmerksamkeit der Passanten auf uns zogen, eine kraftstrotzende Hymne, mit der wir uns womöglich auch selbst meinten. Keiner von uns hatte nur annähernd eine Ahnung, worum es dabei ging, geschweige denn, wer diese fucking Jacobites überhaupt waren, und so richtig lobt der Song diese Leute ja nicht – im Gegenteil. Eigentlich hat sich mir das erst im Scottish Museum in Edinburgh erschlossen. (Gerne googeln.) Von Eddi Reader gibt es eine sehr hörenswerte Version, sie hat einfach dem Lied ein bisschen Dampf abgelassen. Apropos: Nach zwei Stunden harrypottert die ehrwürdige Dampflok wieder um die Kurve, hogwärts weht der Wind. Der Zug ist 2024 übrigens komplett aus­gebucht.

29  Würde ich hier eine Töpferei eröffnen, würde ich sie „Harry’s“ nennen.

30  Noch einmal Local Hero: Regisseur Bill Forsyth ist jetzt 77 Jahre alt und hat seit 1999 keinen Film mehr gedreht – das ist jetzt, Stand 2024, ein Vierteljahrhundert her. 2014 hat er in einem Interview gesagt: „Wenn wir es nicht geschafft hätten, das Ding ins Laufen zu bringen, wäre mein Plan gewesen, einfach zu verschwinden.“ Er hat sich nie als Teil der Unterhaltungsindustrie betrachtet, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Ich hoffe, es geht ihm gut.

31  Kaffeehöhepunkt #1: Das Bloom & Grace in Mallaig, ein umgebauter Pferde­transporter. #2: Das knallrote Kaffeebüdchen Words cannot Espresso gegenüber dem Motel One in „Embra“ – siehe oben.

32  Viele Übernachtungsmöglichkeiten bieten ein ausgeklügeltes Fitnessprogramm, in dem sie Fahrstühle einfach weglassen. Dafür allerorts mindestens fingerdicke Läufer auf den Treppen. Leider sind die Stufen für Schuhgröße 48 oft zu kurz, im Fall fällt man weich.

33  Das war wohl eine lupenreine Panikattacke. Die offene See ist nicht meins, nicht einmal, wenn es sich nur um die Fähre von Mallaig nach Armadale handelt – kaum gehen die Luken hoch, wir sitzen entspannt im Auto, bis ich nach oben blicke und die Laternenmasten vorbeidriften sehe, die auf der Kaimauer stehen. Mein Herz fängt an zu wummern, die Luft wird mir eng und ich denke einen Moment: Jetzt isser da, der Herzkasper. Raus aus dem Auto und hoch an Deck. Heuer ist mehr Seegang als auch schon. Hinsetzen, tief schnaufen und den Horizont fixieren – geht doch. Wenn’s immer so einfach wäre.

34  Die Straßen: Häufig „Single Track Roads“ – bitte keine Wortspiele, die dürfen schließlich von mehreren Personen in einem Fahrzeug befahren werden. Manchmal fliegt einen die Überlegung an, ob es nicht ratsam wäre, „a wee bit“ kommunistisch zu werden. Nicht wenige scheinen das Prinzip mit dem Ausweichen nicht begriffen zu haben, sie halten mit dicken SUVs (ein Klischee, das leider zutrifft) einfach drauf und schaffen so immer wieder High-Noon-Situationen. Dazu aber umgehend der Gedanke: Welche Leute können sich überhaupt SUVs leisten? Nur die Upper Class, und reichen Leuten gehört einfach die Welt. Andererseits ermöglichen die ein­spurigen Straßen viele Winkbekanntschaften.

35  Der Straßenzustand generell: Jämmerlich. Nicht umsonst nennt man Schottland verkehrspolitisch das „Guatemala des Nordens“. Ein Loch folgt dem anderen, zwanzig auf hundert Metern. Ich kann es nicht beschwören, aber ich meine, in der Nähe von Flodigarry aus einem Schlagloch eine Hand herausragen zu sehen. Diese Tücken üben eine große Anziehungskraft auf die sog. „Petrolheads“ aus: Rallyes, Sternfahrten in Old- oder Newtimern, Augen zu und durch. Samstagnachts treffen sich diese „stookies“ in Edinburgh auf der George Street. Das Wort „stookie“ darf man erraten. Plötzlich verbreitert sich die Straße wieder und liefert einen einwandfreien Belag: „Gebaut mit Fördermitteln der EU“. Bitte, gern geschehen.

36  Die Viehgitter – cattle grids – kommen in unterschiedlichen Tonlagen, die Schafe in verschiedenen Farben, gerne mit einem Klecks in pink oder orange auf den Nacken. Es gibt sogar Blaupunktschafe. Sie alle grasen auf „common ground“, also Jedermannsland, und müssen deshalb farblich gekennzeichnet werden. Die Tiere haben offensichtlich Humor, stellen sich an die Straße, um Autofahrer zu erschrecken. Und nein, das ist kein Klon von Dolly. (Symbolbild)

37  29. April. Der First Minister Scotlands, Humza Yousaf, tritt nach nur dreizehn Monaten im Amt zurück. Ich schwör: Damit haben wir nichts zu tun! Die Zusammenarbeit mit den Grünen hat nicht geklappt. Dabei haben diese recht gehabt: Die SNP, die Nationale Partei Schottlands, wollte die Senkung des Treibgas-Ausstoßes um 75 % bis 2030 wieder kippen. Vielleicht ein europaweites Phänomen, wobei Großbritannien gar nicht in Europa liegt. Die Schotten wären eh gerne geblieben, sie werden nur grundsätzlich nie gefragt. Auf den Kennzeichen steht seit dem 27. September 2021 nicht mehr „GB“ als Nationalitätenkennzeichen, sondern „UK“, bre­­xithalber. Auf dem Kontinent denken viele jetzt bestimmt: Ah, UK – Ukraine, und kriegen Mitleid bzw. nehmen Rücksicht. Eine frühere Interpretation von GB lautete „Getting Better“, analog zum luxemburgischen „L“: „Learner“. Von wegen „getting better“ – die Großbriten haben anscheinend alle Hoffnung fahren lassen. Im Hotelzimmer meldet mir die Karten-App, die sich mittels iTunes mit dem Auto verkoppelt hat: Geparktes Auto fünfzehn Meter entfernt. Man sollte immer wissen, wo man ist.

38  Isle of Skye und Sonnenschein, das bringen die meisten nicht unter einen Hut. „It’s dry!“ sagt die Vermieterin auf der Treppe und rollt begeistert mit den Augen. Auf der gesamten Reise hat es genau einmal geregnet und das nicht lange und nicht sehr ergiebig. In Lairg spendierte man uns diesen fiesen Graupelschauer. Sonst in 23 Tagen: Trocken, allen Warnungen zum Trotz, die Regenzeit dauere vom 1. Januar bis zum 31. Dezember. Manchmal über 16 Grad, eine, wie die Schotten sagen: „Heat wave“. Mir kommt das gelegen, zunehmenden Alters kann ich keine Hitze mehr. Die Bewohner von Seattle haben weltweit das Gerücht gestreut, im Nordwesten würde es immerzu regnen, um Besucher abzuschrecken. Vielleicht ist das hier ähnlich. In beiden Fällen hat es nicht funktioniert. Von der Band Del Amitri gibt es den schönen Titel „Hatful of Rain“, und mehr war auf diesem Trip nicht zu holen. Natürlich sind die Einheimischen absolut kälteunempfindlich, im T-Shirt trotzen sie Wind und Wetter, ohne Eierwärmer unter dem Kilt, das macht den Schotten gar nichts aus. Kein Wunder, dass so viele nach Kanada ausgewandert sind, wo es nur zwei Jahreszeiten gibt: Winter und „road repair“. Letzteres ist in Schottland wiederum unbekannt.

39  Der Klimawandel. Noch lässt der Heiland in den Highlands keine Trauben gedeihen. Es gibt aber sog. „Non-Grapes“-Weingüter, die mit Trauben aus Chile experimentieren, welche in Schottland verarbeitet werden. Die unmittelbare Nähe zum Meer verleiht den Trauben ihren charakteristischen Geschmack. Christopher Trotter ließ zweihundert Hybridreben anpflanzen – der erste Jahrgang 2015 war nach Meinung aller Weinkritiker: Ungenießbar! Auf den Äußeren Hebriden sind sie einen Schritt weiter: Dort wurde Wein aus zwanzig importierten schwarzen Muscat-Sorten gekeltert und nur am lokalen Markt verkauft. Wer sich vorher mit ausreichend Abhainn Dearg-Whisky präpariert hatte, fand ihn: „Well … okay … interesting.“

40  Hebridean Seeweed gibt es als Duschgel, als Aromatee und womöglich auch als Tabak. Betörende Note!

41  Liveticker, 14:15h: Kein Regen – bei einer Reifenpanne ist das äußerst hilfreich. Kleiner Tipp am Rande: Mieten Sie niemals einen Vauxhall Crossland! Und schon gar nicht bei Europcar – dort sind schon Leute in der Warteschleife verhungert. Liveticker 14:45h: Hingegen die freundliche Lady des ADAC, der es problemlos gelingt, binnen einer halben Stunde einen Abschleppdienst zu organisieren. Liveticker, 15:45h: Die Panne hat uns die letzte Überfahrt nach Mallaig gekostet, die haben die Schotten für diesen Tag dichtgemacht. Überhaupt haben sie die Flotte auf drei Fähren runtergeschrumpft, wegen Reparaturarbeiten, erzählt Michelle, die Wirtin in Mallaig später, das sei überall in Schottland so, als könne man das nicht auch im Winter erledigen. Liveticker: 16:10h: Problemlos können wir den Reiseplan umdrehen, ein Hoch auf die Flexibilität der Gastgeber in Armadale und Mallaig.

42  Schottland an einem Tag? Hier würde ich Dunvegan Castle auf Skye empfehlen, alles komprimiert, abseits der Routen mit einem vollgetröpfelten, aber beeindruckendem Garten. Elizabeth hat als Kind häufig ihre Ferien auf Dunvegan verbracht. Im Schloss eine hübsche Präsentation schottischer Geschichte mit den dazugehörigen Messerstichen, Axthieben, und Lanzenstößen, all das bei freiliegenden Klöten unter dem Kilt. Porträts hochnäsiger Adliger, eine ausgedehnte Zurschaustellung gruseliger Backenbärte. In solchen Gemäuern muss ich, déformation professionelle, immer gleich an Knechtschaft, Unterjochung, Pachtzins, klandestines Treiben und das Recht der ersten Nacht denken. Sogar die Absperrbänder kommen im Tartanmuster. Immerhin sorgt der Schlossbetrieb für Jobs, und wir leisten einen Beitrag für eine Achteltankfüllung des hochherrschaftlichen Bentleys.

43  Dunvegan Castle, die zweite: Vor mir an der Heißgetränkeausgabe ein Franzose. „Un Café“, sagt er zu der Heißgetränkeausgeberin. „Which one?“, fragt diese. „Je comprend pas.“ Sie deutet auf eine Tafel. Er: „Espresso!“ Mon dieu. Englisch, s’il vous plaît, wenigstens das sollte doch möglich sein, goddammit! Überhaupt sind so viele Franzosen unterwegs, dass ich mich manchmal frage, ob wir uns in die Bre­tagne verirrt haben. Platz zwei: Niederländer, dann erst die Deutschen.

44  Das Fährterminal in Armadale bietet eine Vorspiegelung falscher Tatsachen: Baumbewuchs! Häufig sogar mit Blättern! Daran sollte man sich tunlichst sattsehen, mehr wird’s nicht werden. Als Förster hätte man auf der Isle of Skye einen schlauen Lenz, die Insel zeichnet sich durch eine recht umfassende Abwesenheit von Bäumen jeglicher Art aus. Wer Haiti mag, wird Schottland lieben. Selbst auf den Azoren haben die Bäume überlebt. Die Schotten haben für den Kahlschlag selbst gesorgt, um das Holz zu verbauen oder zu verheizen und die Flächen als Weideland für die Schafe zu nutzen. Die Landschaft wirkt unwirklich, unwirtlich bisweilen. Wobei: Die kahlen Flächen haben ihren Reiz, der Kopf versucht sich anzugleichen und plötzlich entsteht Raum im Schädel. Aufgeforstet wird schon, vorzugsweise mit Nutzholz. Wer dem Wald etwas Gutes tun will, bestellt Wildgerichte, die Kasserole beispielsweise, denn diese Mahlzeit dezimiert die Anzahl der Rehe und Hirsche, die sich liebend gerne über frische Schösslinge hermachen. Im Dunans Castle Woodland Garden kann man Baumpatenschaften übernehmen. Sowieso scheinen sie allmählich auf den Trichter zu kommen – https://www.arte.tv/de/videos/111750-014-A/re-neue-baeume-und-tote-hirsche/

45  Kaum haben wir die Werkstatt in Kyle of Lochalsh verlassen, blinkt das Warnzeichen im Auto erneut. Ein Remake von „Platte Reifen“ oder haben die dort was verbockt? Nervenkitzel, wir fahren klopfenden Herzens trotzdem weiter, in zwei Tagen kommen wir eh wieder in Kyle vorbei. Dort drückt dann ein junger Mann in der Werkstatt eine Taste – und das Ausrufezeichen verschwindet. Kostet nichts, anders als in dem jüdischen Witz mit der Motorpanne in Galizien. Meister öffnet Motorhaube, nimmt den Hammer, peng, der Wagen läuft wieder. Kostenpunkt zwanzig Złoty. Der Kunde verlangt eine detaillierte Rechnung, auf der steht: „Gegeben a Klopp – 1 Złoty. Gewusst wo: 19 Złoty. Macht zusammen: 20 Złoty.“

46  „There’s no panic on the Isle of Skye!” sagt der Platzeinweiser an der Fährstation, als ich das E-Ticket nicht gleich finde. Im Klartext: Don’t pay the ferryman. Wer Riesenumwege hasst, sollte unbedingt vorher reserviert haben. Genau genommen: Alles. Zimmer, Restaurants, Mietwagen, Stellplätze, Fähren, Züge – wobei: innerbritische Züge kann man leider nur innerbritisch reservieren. Schottland ist beliebt, also voll. Wie in aller Welt bringen sie in der Hauptsaison die Menschenmassen unter? Gibt es überhaupt ausreichend Mücken für alle? Die Fähre kommt, es passiert erst einmal: Nichts. Nach der langen, entbehrungsreichen Reise (40 Minuten) haben sich die Ferrymen erst einmal eine Pause verdient. Wer bei der Überfahrt an Deck will, sollte gewisse Fähigkeiten im Limbotanzen aufweisen, unter Fahrradträgern hindurch, über Stoßstangen hinweg usw. Achtung: Stromeferry ist keine Fähre, sondern ein Dorf.

47  „There’s no Sky-TV on Skye” D.h., so genau wissen wir das nicht, wir haben auf der ganzen Reise nicht einmal einen Fernseher eingeschaltet. Braucht man schlicht nicht, irgendwann muss man schließlich die ganzen Bilder im Kopf verarbeiten. Die Skye Bridge wurde am 16. Oktober 1995 eröffnet. Bei meiner ersten Augenscheinnahme 1989 konnte man nur mit romantischen Fähren übersetzen. In welcher Geschwindigkeit danach wohl die Grundstücks – und Übernachtungspreise in die Höhe geschnellt sind?

48  Portree. Hebriden leitet sich nicht von Hybris ab, oder? Portree in motion? Vergiss es, Sackgassen und No-En­trys, dafür minder gekennzeichnete Behindertenparkplätze, Kostenpunkt 100 £, bei Begleichung innerhalb von 14 Tagen die Hälfte. Die Markierung ist auf den Asphalt gepinselt, und bei den üblichen Witterungsbedingungen schnell mal verblasst. Viel zu wenig Restaurants für so viele Gäste. Ohne Tischreservierung wird man hier den Hungertod erleiden, zumal der örtliche Co-op zwar voll mit Kundschaft ist, dieser aber nur eine rudimentäre Grundversorgung bietet. Seit dem Brexit bekommen die Briten nicht mehr alle Waren. (Kommentar dazu vom Autor gestrichen.) In den zahllosen Souvenir­shops sind die Gallowayrinder eindeutig überrepräsentiert: Sie prangen auf bedeutend mehr T-Shirts, Hoodies, Tassen etc. als Schafe, deren Zahl allein in Schottland auf über sechseinhalb Millionen geschätzt wird – und damit die Einwohnerzahl übersteigt, und die Zahl der Rinder sowieso – ergo eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Generell muss man bei Betrachten der Souvenirs sagen: Die Besitzer müssen Touristen für ziemliche „stookies“ halten – und liegen möglicherweise nicht falsch damit. Das gilt natürlich weltweit. Was Portree anbelangt: Diese Stadt habe ich gefressen. Einzig das Anchorage Café möchte ich davon ausnehmen. Guter Cortado. Malerische Telefonzelle. Man findet überall was Schönes, selbst in Portree.

49  „Convenience Food“ ist lt. Wikipedia „ein aus dem Englischen (ach was?) entlehnter Begriff für ‚bequemes Essen’“. Seit Verbreitung von Mikrowelle und im gün­stigeren Fall Dampfgarer hat die Küche Großbritanniens deutlich dazugewonnen. Als ich 1989 in Schottland war, mussten wir uns beim Inder oder Pakistani notversorgen, einmal sind wir sogar polnisch essen gegangen. Viele machen allerdings Systemgastronomie, ohne sich dessen bewusst zu sein. Jeder Koch in jedem beliebigen Normalorestaurant ist in der Lage, den erhitzten Beutel mit dem Curry aufzuschneiden und noch irgendwas beizusteuern. Wenn die Speisekarte international daherkommt, ist Zurückhaltung geboten. Insgesamt ist alles besser geworden – bekömmlich aber ist anders. Eine Kette für Oberbekleidung nennt sich vorsichtshalber gleich Fat Face.

50  Kulinarisches Highlight, auch von der Atmosphäre her, in – wo sonst? – Edinburgh. www.forageandchatter.com. Allein die Ochsenbäckchen … mit besten Grüßen an Matthew und Cameron.

51  Wenig erbaulich: Cheddar-Küsse.

52  Nach jedem Zimmerbezug: Wo um Himmels Willen sind die Steckdosen? Haben wir es heute wieder mit den beliebten „Versteck“dosen zu tun? Manchmal hilft ein Wortspiel absolut nicht weiter … Reden wir nicht drumherum: Erst am Ende der Reise – in York, also England – werden wir in einem Kettenhotel mit einer Flut von Steckdosen entschädigt. Elektrischerseits ist noch viel Luft nach oben – siehe hierzu Aberdeen. Immerhin: Wenn es welche gibt, dann immer gleich mit USB-An­schluss. Dazu passt diese Meldung vom 22. Mai (dpa): „Deutscher Strom für Briten. Das Königreich benötigt Strom aus dem Ausland. Helfen kann Deutschland. Um die Energienetze zwischen Deutschland und Großbritannien miteinander zu verbinden, hat in Wilhelmshaven die erste Bauphase für ein 700 Kilometer langes Stromkabel zwischen den beiden Ländern begonnen.“

53  Auf der A 832 von Inverness völlig überraschend eine Oase: das Midge Bite in Achnasheen mit exzellenten koffeinhaltigen Getränken und göttlichen Sandwiches. Weiter geht’s, vorbei an den Minen von Glencampbell, wo das berühmte Shortbread aus bockelharten Granitschichten gebrochen wird. (Ich muss kurz eingenickt sein.) Tatsächlich kriegen wir soeben auf der A 835 eine Runde Nordkalifornien spendiert, zum selben Preis: ehrfurchtgebietende Redwood­bäume sonder Zahl. Absolut herausragend, im wahrsten Sinne. Überhaupt irritiert die Route durch dichteren Baumbestand. Es ist göttlich.

54  Ullapool. Ich habe tatsächlich in der Planung einen Tag übersehen, was ich erst beim Einchecken erfahre. Heute sind wir demnach nirgends untergebracht. Die Mienen des Betreiberpaares sind köstlich: Anflug von Panik. „Are you Nick?“ Ich nicke nicht. Meine Miene habe ich zum Glück nicht sehen können. Meine Frau bleibt gelassen und zeigt großes Verständnis. Ihr leicht spöttisches Grinsen habe ich mir redlich verdient. Zum Glück ist Donnerstag, die Tourist-Information vermittelt uns im Handumdrehen ein Zimmer im Ullaview B&B, was sich natürlich wie „I love you“ liest. Freitags hat die TI geschlossen, was kurios ist: am Freitag dürfte es die meisten Anreisen geben. Am nächsten Tag versuche ich es in der geplanten Unterkunft als „Nick“, Thomas is my Nickname. Wir übernachten gegenüber vom Fähr­terminal, vielleicht keine so schlaue Idee, da ist viel Betrieb, vor allem nachts. Trotzdem ein tolles B&B. Von den 31 Häusern der pittoresken Uferzeile sind gerade mal drei im Besitz von Einheimischen, hat Heather vom Ullaview am Vorabend erzählt.

55  Ardvreck Castle, kein besonders anziehender Name, aber doch beeindruckend inmitten der kahlen Steppe. Eine Ruine wie ein hohler Zahn, Dentisten dürfte beim Betrachten das Wasser im Munde zusammenlaufen. Leider zeigt das Display meines Handy immer häufiger eine schwarze Fläche, woraufhin ich umgehend in Fluchbereitschaft gehe. Blöd bei Schnappschüssen, weil ich es erst komplett aus- und dann wieder einschalten muss. Vielleicht ist das Ding aber smarter als ich und verweigert einfach bei allzu offensichtlichen, sprich: banalen Motiven die Zusammenarbeit.

56  Dornoch. Am 4. Mai sehe ich zum ersten Mal seit zweieinhalb Wochen einen flatternden Union Jack. Kein Wunder, wer in Schottland mal Urlaub von Schottland braucht, was bei uns nicht der Fall ist, dem sei das kleine Städtchen Dornoch anempfohlen, das mit seinen Häusern aus hellem Sandstein so gänzlich anders aussieht als vergleichbare schottische Gebäude, die bekanntlich aus Blackpudding (Blutwurst) gefertigt wurden. Der Reiz einer Übernachtung in einem dezent runtergerockten Schlosshotel relativiert sich rasch, wenn man erst einmal festgestellt hat, dass man das Schloss ja gar nicht sieht, ist erst einmal drinnen.

57  Das sollte man nicht vergessen, dieses Dauerbeef zwischen England und Schottland. Am 6. September 1997, dem Tag der Beisetzung Dianas, wollten die Schotten den Betrieb ihrer Fußballligen weiterlaufen lassen. Das hat die Sache nicht besser gemacht.

58  Take a walk on the Wald side. Wälder sind hier eigens ausgeschildert, wie der „Forest Walk“ bei Skelbo, ein Hain für zwei Personen. Den nehmen wir sofort, wir sind nicht mehr wählerisch. Wie man hier tatsächlich wandert, das müssen wir uns fürs nächste Mal drauf schaffen.

59  Mehr Radwege, bitte!

60  Das letzte Loch vor der Autobahn. Wir passieren die Bahnstation am Flughafen Inverness. Die Stelle eines Verkehrsplaners scheint, wenn ausgeschrieben, eine magische Anziehungskraft auf „stookies“ auszuüben: Zu weit für zu Fuß mit Gepäck, zu nahe, um bei Taxifahrern nicht für hasserfüllte Missbilligung zu sorgen. Auf der Strecke von Inverness nach Aberdeen hält der Zug in Forres und in Elgin. Dazwischen liegt Findhorn. 1989 Besuch der dortigen Kommune, die Freundin war schwer esoterisch angehaucht, weswegen wir dort zum Informationsbesuch antraten, also vor allem sie, das ging schon damals nicht an mich, weswegen ich diese Liaison heute eher als bizarr bewerte. Sie wäre am liebsten sie gleich eingezogen, und ich durfte mich glücklich schätzen, dass ich nicht in die Zivilisation zurücktrampen musste. Schön, Findhorn mit dem Zug links liegenzulassen.

61  Rail: Aberdeen Station, eine Mall mit Gleisanschluss. Über dem Zugang zu den Gleisen hängen elektronische Anzeigetafeln, vier, fünf große, rechteckige Displays. Dort werden die Züge in der Reihenfolge der Abfahrt gelistet, alle Stationen werden angezeigt. Daneben eine kleinere Tafel mit den Zügen, die später fahren. Da, ganz unvermittelt, der Zug nach Süden hat es noch nicht einmal zu einer eigenen Fläche auf den Displays gebracht, erscheint unter „Edinburgh“ geradezu unwirklich „Platform 3“, und das eine halbe Stunde vor Abfahrt. Wir können unser Glück kaum fassen und taumeln selig durch die Sperre.

62  Was ich vermissen werde: Die allumfassende Freundlichkeit, mit einer Ausnahme. Natürlich würde man gerne in Familienhotels absteigen, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen, aber wenn das Station Hotel in Aberdeen ein solches sein sollte, dann muss es sich um eine dysfunktionale Familie handeln. Nirgends war die Begrüßung binnen dreier Wochen unfreundlicher, um nicht zu sagen: Ignorant. Aller­dings nicht so ignorant, dass man uns nicht umgehend 10 £ fürs eine-Stunde-zu-früh-Einchecken abknöpfen würde. Das Station Hotel erwartet uns mit Zigarettenkippen und leeren Dosen im Eingangsbereich. Drinnen wird es kurzfristig besser, bis wir das Zimmer betreten. Wer knarrende, ja, furzende Böden liebt, ist hier bestens aufgehoben. Sauber ist auch anders. Ich bin jetzt seit 1977 fast durchgehend unterwegs, habe also schon das eine oder andere Hotelzimmer gesehen, aber noch nirgendwo etwas derart Idiotisches: Die Schalter für die Nachttischlampen befinden sich nur auf der rechten Seite. Wie soll das gehen? Der linke Schläfer muss aufstehen, wenn er das Licht löschen will? Der rechte Schläfer sagt: „So, genug gelesen, gute Nacht!“ Trotz allem: In dreieinhalb Wochen nur ein mieses Hotel, das ist ein formidabler Schnitt. Es gehört einfach dazu, so wie Glasgow und Aberdeen, wir erleben die ganze Palette (halt: Luxus ist nicht dabei. Macht ehrlicherweise keinen Spaß, jedenfalls mir nicht). Was wäre die Konsequenz? Nur noch in Kettenhotels übernachten? In Ullapool würdest du keins finden – noch nicht.

63  Aberdeen. Auf Gälisch heißt die Stadt „Obar Dheathain“. Da hätten sie sich ruhig ein bisschen mehr Mühe geben können. Vor drei Tagen beim Versuch, „Bruichladdich“ korrekt auszusprechen, einen schweren Rachenkatarrh zugezogen. Lieblingsortsname # 1: Peinlich, auf der Halbinsel Trotternish gelegen. # 2 Inchnadamph, das ganz in der Nähe von Stronechrubie liegt, wie wohl jedermann weiß.

64  Was ich sicher nicht vermissen werde: Silberzwiebeln.

65  Aberdeen: Erschreckender Leerstand in der Union Street, der klassischen Einkaufs­meile, 30 % Minimum, geschätzt. Solche Städte können einem nur leidtun: Die Wirtschaft geht den Bach hinunter, plötzlich berappelt man sich, bestückt die Stadt mit tollen Museen wie dem Maritime oder der Art Gallery, gestaltet eine wahrschein­lich unansehnliche Böschung entlang der Gleise zum schönen Union Terrace Garden um, ein kurzer Boom, dann machen Brexit und Covid den Bemühungen den Garaus. Die Zukunft der Ölindustrie liegt eh im Ungewissen. Letztlich sind die Stadt­­­oberen machtlos. Aber jede Stadt hat ihr Gutes, bei mir ist das die mit Abstand beste Nassrasur meines Lebens, auf Union Terrace.

66  Die Karten-App meldet: Geparktes Auto ist 137 Kilometer entfernt. Den Mietwagen haben wir in Inverness am Flughafen abgegeben. 137 Kilometer – ehrlich gesagt ist mir das nicht weit genug. Endlich wieder im Zug. Erste-Klasse-Passagiere reisen grundsätzlich ohne Gepäck. Jedenfalls gibt es keinerlei Vorrichtungen dafür. Der Schaffner meint, das könne so nicht im Gang stehen bleiben, ganz vorne gäbe es noch ein Abteil. „Mit Gepäckablage?“ Schulterzucken. Ist das schon das berühmte „Trainverspotting“?

67  „Teckets please!“ Die Zugfahrt von Aberdeen nach Aberdour!!! Unbedingt auf der linken Seite Platz nehmen. Das erste Mal, dass wir  einen Seehund durch ein Zugfenster betrachten dürfen. Auch die Strecke von Edinburgh Richtung York zwei Tage später hat ihre bewegenden Momente. In diesen Tagen, bei Sonnenschein, wirkt Schottland alles andere als finster, überall blüht der …

68  Zweiter Besuch in der Hauptstadt: Gefühlt doppelt so viele Besucher wie vor drei Wochen. Man hört deutlich mehr deutsch, in Deutschland ist Himmelfahrt, und viele fahren über das verlängerte Wochenende mit Easyjet in den Himmel, diese Klientel ist leicht zu erkennen, weil nur mit Bordgepäck unterwegs. Für größere Stücke müssten sie wahrscheinlich 500 Ocken berappen.

69  Edinburgh: Endlose Karawanen von Bussen auf der Princess Street, dazu die Tram, und entsprechend weniger Individualverkehr.

70  National Gallery: Anteil deutscher Künstler – keine aufgefallen. (Ähnlich geht das auch mit deutschen Weinen und Bieren – außer einmal Erdinger. Dafür aber das ekelhafte Heineken.) Nicht, dass ich Nationalist wäre, aber gibt es da noch Vorbehalte? In E-burgh verkaufen sie aktuell T-Shirts für die Euro 24, auf deutsch: „Wir sind die Tartan Armee!“ Wir freuen uns auf euch. Womöglich tragen sie den Krauts nichts nach, dennoch kann es nicht schaden, sich als Deutscher eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Was die deutsche Wehrmacht in Schottland verbrochen hat? Sie hat z.B. die Stadt Clydebank, keine zwanzig Minuten vom Stadtzentrum Glasgow, im März 1941 angegriffen und 35.000 Menschen in die Obdachlosigkeit gebombt. Das sollte man im Gedächtnis behalten.

71  Aberdour liegt auf der anderen Seite der Bucht, direkt gegenüber von Edinburgh. Ein schmuckes Städtchen, nicht eben arm. Sollte ich einmal einen Kitsch­roman schreiben, dann lautete der Titel „Der Bahnhofsgärtner von Aberdour“, unabhängig vom tatsächlichen Inhalt. Mit welcher Grandezza und Hingabe sich der weißhaarige Mann seinen Pflanzen widmet: Rhododendren, Blaukissen, Pfingstrosen, Hyazinthen, Edelginster. Sie haben sogar ein eigenes kleines Gewächshaus angelegt. Vielleicht hat Oskar Kokoschka das ganze Ensemble verewigt, er verbrachte einige Monate seines Exils in Aberdour. Aber am Ehesten fühlen wir uns versetzt in eine Folge der Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“. Obendrein sind wir im Aber­dour Castle in einen Outlander-Drehort geraten, ganz ohne unser Zutun.

72  Cheers!

73  Diese Armaturen für Safeknacker, mit denen man Temperatur und Wasserdruck mittels zwei Rädern regeln muss, die gegeneinander drehen, sind sehr geschickt, weil man nie Gefahr läuft, mit dem Ellenbogen den sog. „Einhebelmischer“ versehentlich auszuhebeln, was eine rabiate Veränderung der Temperatur oder ein gänzliches Abschalten der Dusche zur Folge haben kann.

74  York, England. Endlich mal eine Stadt mit Ypsilon zum Übernachten. Jetzt muss ich nur noch nach Quedlinburg und Xanten. Aufkommen an Yorkshireterriern: Null. Für jemanden, der in Rottweil wohnt, ist die Heimat des Yorkshireterriers freilich eine Herausforderung. Für die Bewohner von Chihuahua allerdings auch, und der Rottweiler wird wenigstens nicht mit Paris Hilton identifiziert. Gerade habe ich gelesen, das Konrad Adenauer einen Rottweiler besaß, Winston Churchill hingegen Pudel bevorzugte. Was soll uns das sagen? York ist auch Schauplatz zahlloser „Hen-Partys“, zudem ist ex­­trem viel Testosteron unterwegs. Der berühmte Yorkshire Ripper – ­ 13 Morde – ist nebenbei im Gefängnis an Covid gestorben. Freitagabend ist vielleicht für eine Beurteilung nicht der optimale Zeitpunkt. Selten so viel falsches, übertriebenes Gehühner erlebt, eine rundum lärmige Stadt. Das Münster verlangt 18 £ Eintritt. Da verzichten wir doch gerne. Wie wäre es mit einem Wortspiel: Church ill. (Ist ja schon gut …) Alle, denen man vom Stopover York erzählt, geraten ins Schwärmen, was freilich bedeutet, dass alle schon mal da waren oder gerade da sind oder demnächst da sein werden. Das hat der Stadt nicht gutgetan. Die Düsseldorfer Altstadt Nordenglands, mit einer Prise Heidelberg und zwei Dosen Hofbräu­haus. In der Bewertung der Stadt sind meine Frau und ich uneins. Mir hat sogar Aberdeen besser gefallen, vor allem wegen Rasur und dem „High Tea“ im Museumscafé. Noch das Beste an York: Unbeschränkter Zugang zu den Gleisen (geht doch!) und mit die nettesten Taxifahrer.

75  Meist gestellte Frage der gesamten Reise: Do you have any allergies or dietary requirements? Nope.

76  Bis dato kann ich mich an keine Zugverspätung über fünf Minuten erinnern – nimm das, Deutsche Bahn! Aber zu früh gefreut: Zwanzig Minuten zu spät erreicht der LNER Azuma London. Andere britische Bahngesellschaften wie Trans-Pennine oder Grand Central gehören Arriva, einer DB -Tochter. Vielleicht hat man diesen Companies ein Grundkontingent an Minuten zur Verfügung gestellt, die uns jetzt in Deutschland fehlen.

77  London, King’s Cross: Lange Schlangen vor Gleis Neundreiviertel – nur um ein Foto vor dem Schild zu machen, für fünf £. Ein angemessener Preis: Der Personalaufwand ist riesig, Schal und Zauberstab werden gestellt, der Schal muss einmal im Jahr gewaschen werden, das geht ins Geld. Hinter dem Schild ist: Nichts, also nur die Mauer. Nebendran der dazugehörige Shop. Was soll’s, die Heerscharen sind zu beneiden, haben sie doch eine Religion gefunden, die ihnen Spaß macht und allemal sympathischer ist als z. B. Katholizismus. P.S. Die Kundschaft ist nicht mit dem Hogwarts Express angereist.

78  Die Stunde, die sie bei der Herfahrt hergeschenkt haben, kassieren sie bei der Tunnelmitte wieder ein. Der Eurotunnel zwischen Folkestone und Coquilles wurde am 6. Mai 1994 eingeweiht, zu einer Zeit, als man in Frankreich rigoros Angliszismen beseitigen und z. B. Computer durch „ordinateur“ ersetzen wollte. Beim Eröffnungszeremoniell darauf angesprochen, antwortete der französische Premierminister Balladur nur: „No comment!“

79  Am 24. Mai 2024 schreibt Michael Neudecker in der Süddeutschen: „Die Reform UK-Partei musste dieser Tage zugeben, einen Kandidaten wegen Untätigkeit abgemahnt zu haben, um dann festzustellen, dass der Mann verstorben war.“ (Um Reform UK politisch einzuordnen: Ihr Ehrenvorsitzender ist Brexiteer Nigel Farage.)

80  Während wir es – nördlich betrachtet – bis Ullapool geschafft haben, was in etwa auf dem 57. Breitengrad zu finden ist und etwa auf der Höhe von Mandal liegt, der südlichsten Stadt Norwegens, ist die Homepage der Neuen Rottweiler Zeitung gepflastert mit Fotos: Polarlichter in Rottweil! Polarlichter spielen eine wichtige Rolle in „Local Hero“, mit Burt Lancaster als Himmelsbesessenem. Wir haben im Norden keine „Northern Lights“ zu Gesicht bekommen.

81  Trainlag!

82  Gefühlt sind es fünf Kilo Minimum, die ich zugelegt habe auf dieser Reise, nicht zu vergessen die verbliebenen fünf Pfund in meinem Portemonnaie. Mein getreuer Eagle Creek-Rollrucksack erreicht den Hof mit Müh und Not – der obere Griff macht es nicht mehr lange. Ich komme nicht umhin, und das ist keine bezahlte Produktplatzierung, die Gepäckstücke dieses Hauses zu preisen. Das Teil leistet seit über zwanzig Jahren verlässlich seinen Dienst, bei hoher Strapazierung. Chapeau!

83  Bucketlist: Baum pflanzen. Erkundung von Peinlich und Inchnadamph. Portree weiträumig umfahren, in einem Mietwagen, der kein Vauxhall ist und nicht von Europcar. Endlich ein Konzert mit Eddi Reader. Vögel beobachten. Irgendwas mit Outlander. Ratgeber „How to hike in Scotland“ besorgen. Celtic gegen Rangers im Ibrox­stadion in Glasgow – Karten bestellen, es gibt noch freie Plätze für die Saison 28/29. Aurora Borealis. Whisky-Degustation mit Robin, vielleicht ist bei mir ja doch noch nicht Hopfen und Malz verloren. Halt – nur Malz. Ergo: Wir kommen wieder! Während man wenige Wochen später die letzten Schafsköttel aus dem Profil der Wanderschuhe puhlt, denkt man „a wee“ wehmütig an die wunderschönen Tage zurück. Scotland – no werries. Augenblicklich setzt die Verklärung ein.

82  Der Soundtrack (Auszug):

Deacon Blue: Raintown                                       Del Amitri: Roll On To Me

Dick Gaughan: Land Of The North Wind          Danny Wilson: Aberdeen

Hannah Rarity: Scotland Yet                              Michael Marra: Hermless

Eddi Reader: Glasgow Star                                  The Pearlfishers: Everyday Storms

Karine Polwart: Craigie Hill                                Robin Laing: The Dark Side Islay

Aoife Carton: Edinburgh                                     Iona Fyfe: Lady Finella

83  Vielen Dank an Beatrice, meine Erstleserin, Reisegefährtin und Ehefrau seit zwanzig Jahren, die ein scharfes Auge hat für das Wesentliche wie auch für das Kleingedruckte und allemal ein wesent­lich besseres Gedächtnis als ich.

© Thomas C. Breuer Rottweil 20.05. 2024